Kein Naturdrama, sondern ein Industrieproblem
Die Aufregung um die Afrikanische Schweinepest (ASP) ist groß: Quarantänezonen, kilometerlange Zäune, spezialisierte Entnahmeteams, Warnkampagnen für die Bevölkerung. Doch was als dramatisches Seuchengeschehen verkauft wird, ist bei nüchterner Betrachtung vor allem eines: ein massives Symptom der industriellen Tierhaltung in Deutschland. Die ASP ist für Wildtiere – insbesondere für Wildschweine – kein außergewöhnliches Phänomen, sondern ein natürlicher Regulierungsmechanismus. Erst durch die enorme wirtschaftliche Abhängigkeit von hochkonzentrierten Hausschweinbeständen wird die Krankheit zum politischen und gesellschaftlichen Problem.
Die Massentierhaltung ist der eigentliche Krisenmotor
Die ASP befällt ausschließlich Schweine – sowohl Haus- als auch Wildtiere. Der natürliche Krankheitsverlauf im Wildbestand würde langfristig zu einer Populationsreduktion führen, möglicherweise mit stabilisierenden Effekten auf das Ökosystem. Problematisch wird die Seuche erst, wenn sie in Schweinehaltungen eindringt, in denen tausende Tiere unter hochdichten Bedingungen gehalten werden. Solche Anlagen sind idealer Nährboden für eine rasche Ausbreitung. Entsprechend konzentriert sich der politische Aktionismus auf das Verhindern wirtschaftlicher Verluste – nicht auf das Tierwohl oder eine ökologische Balance.
ASP-Bekämpfung: Ein absurdes Aufrüsten gegen die Natur
Die Gegenmaßnahmen wirken wie aus einem dystopischen Handbuch: Wildschweine sollen vollständig aus bestimmten Gebieten eliminiert werden, sogenannte „Weiße Zonen“ entstehen, doppelte Elektrozäune schneiden Landschaften in Sektoren, Drohnen suchen nach Kadavern, Jäger agieren wie staatlich legitimierte Ausrottungskommandos. All dies geschieht nicht, weil Wildschweine ein Gesundheitsrisiko für Menschen darstellen, sondern weil sie als potenzielle Überträger in Richtung industrieller Schweinehaltungen gelten. Die Konsequenz ist ein Kampf gegen die Natur selbst – finanziert und legitimiert durch die Angst vor ökonomischen Einbrüchen in der Fleischindustrie.
Ein System, das sich selbst in Geiselhaft genommen hat
Die Reaktion auf die ASP offenbart die Fragilität unseres agrarischen Wirtschaftssystems. Wären die Haltungsbedingungen tiergerechter, weniger dicht und ökologisch eingebunden, wäre ein Seuchenausbruch kein Desaster, sondern ein kalkulierbares Risiko. Doch weil man sich aus Gründen der Effizienz auf Hochleistungsbetriebe mit extremen Tierzahlen verlassen hat, muss nun mit polizeistaatlichen Mitteln die Umwelt kontrolliert werden. Selbst die Freiheit von Wildtieren wird der ökonomischen Schutzbedürftigkeit von Mastbetrieben untergeordnet.
Wildschweine als Sündenböcke einer fehlgeleiteten Politik
Es wird suggeriert, dass das Wildschwein das Problem sei – weil es das Virus „einschleppt“. Dabei ist das Wildtier schlicht Träger einer Krankheit, die in freier Wildbahn ihren natürlichen Lauf nehmen würde. Dass es zum Problem wird, liegt allein an der Existenz von Tierfabriken, die das Virus nicht verkraften können. Die Tiere im Wald werden deshalb zu Zielscheiben, obwohl die Ursache strukturell ist: ein auf Fleischkonsum ausgerichtetes Produktionssystem, das weder robust noch nachhaltig ist.
Zäune, Drohnen, Keulungen – mehr Kontrolle statt Ursachenbekämpfung
Der Einsatz technischer und repressiver Mittel zur ASP-Eindämmung folgt einem bekannten Muster: Statt die Ursachen anzugehen, reagiert man mit Kontrolle. Statt weniger Tieren bessere Bedingungen zu bieten, hält man an der Logik „viel und billig“ fest und verlangt vom Wildtier, sich der Produktionslogik unterzuordnen. Doch die Natur ist nicht planbar wie ein Schlachthof. Zäune werden durchbrochen, Viren tragen sich durch Wildtiere, Menschen, Fahrzeuge, Gegenstände. Die Hoffnung, mit immer schärferen Maßnahmen das Problem in den Griff zu bekommen, wird mittelfristig enttäuscht werden.
Öffentlichkeit in Mitverantwortung – aber ohne Mitsprache
Zugleich wird die Bevölkerung zur „Mithilfe“ aufgefordert: Zäune sollen gemeldet, Tore geschlossen, keine Reste entsorgt werden. Doch eine ernsthafte Diskussion darüber, ob es richtig ist, massenhaft Tiere unter nicht artgerechten Bedingungen zu halten, um sie billig vermarkten zu können, findet nicht statt. Stattdessen wird ein Bild von Notstand und Sachzwang gezeichnet, in dem angeblich keine Alternative besteht. Das eigentliche Problem – der strukturelle Irrweg der Tierhaltung – wird aus der Debatte ausgeklammert.
Ein Umdenken ist überfällig
Die Afrikanische Schweinepest zeigt nicht, wie gefährlich Wildschweine sind, sondern wie anfällig ein System ist, das auf maximale Ausnutzung tierischer Ressourcen setzt. Die politisch-mediale Reaktion verkennt, dass es sich nicht um eine Bedrohung von außen handelt, sondern um eine hausgemachte Krise. Solange der Fokus allein auf dem Schutz der Fleischwirtschaft liegt, wird es bei Symptombekämpfung bleiben. Ein konsequenter Wandel hin zu einer resilienten, tiergerechten und ökologisch eingebetteten Tierhaltung wäre nicht nur ethisch geboten, sondern auch die wirksamste Seuchenprävention.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie). Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“