Wer ehrenamtlich in einem Tierheim hilft, denkt selten an Versicherungsfragen. Doch gerade bei körperlich aktiven Tätigkeiten – etwa beim Ausführen von Hunden – kann schnell ein Unfall passieren. Das Sozialgericht Oldenburg hat entschieden, dass ein Sturz während einer solchen Gassi-Runde als Arbeitsunfall gelten kann, wenn die Tätigkeit eine arbeitnehmerähnliche Struktur aufweist. Dieses Urteil zeigt, dass die Grenze zwischen Ehrenamt und Beschäftigung in der Praxis fließend ist und rechtliche wie organisatorische Sorgfalt erfordert.
Ehrenamtliche Tätigkeit mit arbeitnehmerähnlicher Struktur
Das Gericht sah in dem Gassigehen mit Tierheimhunden eine Tätigkeit, die im Kern den Merkmalen einer abhängigen Beschäftigung entsprach. Die Helferin war regelmäßig, mehrfach pro Woche, für das Tierheim tätig. Sie handelte nicht völlig frei, sondern innerhalb der organisatorischen Vorgaben des Vereins. Dieser bestimmte, welche Hunde wann und wo ausgeführt wurden – ein deutlicher Hinweis auf Weisungsgebundenheit. Die Richter stellten fest, dass diese Einbindung in die Arbeitsabläufe des Tierheims über das bloße private Engagement hinausging.
Zudem hatte die Tätigkeit einen klaren wirtschaftlichen Wert. Denn nur durch die regelmäßigen Spaziergänge konnte das Tierheim eine artgerechte Haltung gewährleisten – eine Voraussetzung, um Tiere erfolgreich zu vermitteln und den Vereinszweck zu erfüllen. Damit war das Engagement der Ehrenamtlichen faktisch ein unverzichtbarer Bestandteil der Betriebsorganisation.
Wann ein Unfall als Arbeitsunfall gilt
Ein Arbeitsunfall liegt immer dann vor, wenn sich ein plötzliches Ereignis in Ausübung einer versicherten Tätigkeit ereignet und dabei ein Gesundheitsschaden entsteht. Entscheidend ist, dass die Handlung objektiv dem versicherten Zweck dient und in einem inneren Zusammenhang mit der Tätigkeit steht. Im Fall aus Niedersachsen war der Sturz auf einem Trampelpfad unmittelbar mit dem Spaziergang eines Tierheimhundes verbunden. Das Gericht bejahte deshalb den sogenannten sachlichen Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Unfall.
Die Berufsgenossenschaft hatte den Vorfall zunächst abgelehnt, weil die Frau keine Arbeitnehmerin war. Nach Ansicht des Sozialgerichts war diese Sichtweise jedoch zu eng. Es komme nicht darauf an, ob ein Entgelt gezahlt werde, sondern auf die Art der Eingliederung in die Organisationsstruktur des Vereins. Damit wurde das Ehrenamt im konkreten Fall einem Arbeitsverhältnis gleichgestellt.
Praktische Folgen für Tierheime und Ehrenamtliche
Das Urteil hat weitreichende praktische Bedeutung. Viele Tierheime arbeiten auf die Unterstützung freiwilliger Helfer angewiesen. Diese übernehmen regelmäßig Aufgaben, die ohne sie kaum zu bewältigen wären – vom Ausführen der Hunde bis zur Pflege von Gehegen. Wo solche Tätigkeiten fest in den Ablauf des Vereins integriert sind, besteht auch Versicherungsschutz über die gesetzliche Unfallversicherung.
Für Tierheime bedeutet das allerdings auch eine gewisse Verantwortung. Sie sollten ihre ehrenamtlich Tätigen möglichst klar einweisen, dokumentieren, welche Aufgaben übernommen werden und welche organisatorischen Vorgaben gelten. Eine saubere Abgrenzung zwischen „privater Gefälligkeit“ und strukturierter Mitarbeit kann spätere Streitigkeiten vermeiden.
Versicherungsschutz im Ehrenamt – nicht selbstverständlich
Nicht jede ehrenamtliche Tätigkeit fällt automatisch unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Entscheidend ist, ob sie im Interesse oder mit Zustimmung einer juristischen Person, eines Vereins oder einer Körperschaft ausgeübt wird. Tätigkeiten, die spontan, unorganisiert oder rein privat erfolgen, sind meist nicht versichert.
In vielen Bundesländern besteht zudem eine zusätzliche Ehrenamtsversicherung, die landesweit organisiert ist. Diese deckt häufig Fälle ab, die außerhalb der gesetzlichen Regelungen liegen. Ehrenamtliche sollten sich deshalb immer beim Träger ihres Einsatzes erkundigen, ob ein Versicherungsschutz besteht – und welche Wege im Schadensfall zu gehen sind.
Beweislast und Durchsetzung in der Praxis
Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls kann in der Praxis kompliziert sein. Die betroffene Person muss nachweisen, dass der Unfall tatsächlich während der versicherten Tätigkeit geschehen ist. Zeugen, genaue Zeitangaben und die Dokumentation der Tätigkeit sind dabei entscheidend. In vielen Fällen scheitert eine Anerkennung an unklaren Abläufen oder fehlender schriftlicher Bestätigung durch den Verein.
Auch die Kommunikation mit der Berufsgenossenschaft gestaltet sich nicht immer einfach. Diese prüft sehr genau, ob tatsächlich eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit vorlag. Wenn die Organisation des Ehrenamts nicht hinreichend dokumentiert ist, drohen Ablehnungen. Gerade in solchen Fällen kann die Unterstützung durch einen im Sozialrecht erfahrenen Rechtsanwalt entscheidend sein, um den Versicherungsschutz durchzusetzen.
Juristische Bewertung und praktische Probleme
Aus juristischer Sicht zeigt das Urteil, dass der klassische Begriff des Arbeitsunfalls längst nicht mehr nur auf Angestellte im engeren Sinne beschränkt ist. Vielmehr wird zunehmend auf die tatsächliche Einbindung und die Fremdbestimmtheit der Tätigkeit abgestellt. Dennoch bleibt die Abgrenzung im Einzelfall schwierig.
Praktisch problematisch ist, dass viele Ehrenamtliche gar nicht wissen, ob und in welchem Umfang sie abgesichert sind. Tierheime wiederum verfügen selten über juristische Expertise, um die Einordnung ihrer Helfer korrekt vorzunehmen. Hier entstehen Graubereiche, die erst durch gerichtliche Verfahren geklärt werden. Wer sich auf eine ehrenamtliche Tätigkeit einlässt, sollte daher stets darauf achten, dass eine klare schriftliche Vereinbarung über den Umfang und die organisatorische Einbindung besteht.
Warum anwaltliche Unterstützung sinnvoll ist
Wenn ein Unfall im Zusammenhang mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit passiert, sollte man sich frühzeitig anwaltlich beraten lassen. Ein spezialisierter Rechtsanwalt kann einschätzen, ob die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls vorliegen, welche Nachweise erforderlich sind und wie die Kommunikation mit der Berufsgenossenschaft geführt werden sollte.
Gerade die Frage, ob eine „arbeitnehmerähnliche“ Tätigkeit vorliegt, ist juristisch komplex und hängt stark vom Einzelfall ab. Ein Anwalt kann auch prüfen, ob gegebenenfalls Ansprüche aus einer zusätzlichen Ehrenamtsversicherung bestehen oder ob der Verein eigene Unfallversicherungen abgeschlossen hat.
Fazit: Ehrenamt verdient rechtlichen Schutz
Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg stärkt die Rechte von Ehrenamtlichen. Wer regelmäßig im organisatorischen Rahmen eines Vereins tätig ist, darf darauf vertrauen, bei einem Unfall geschützt zu sein. Zugleich erinnert der Fall daran, dass klare Strukturen, Dokumentation und juristische Beratung für Vereine und Helfer gleichermaßen wichtig sind. Ehrenamtliches Engagement ist unverzichtbar – es sollte aber auch rechtlich sicher ausgestaltet sein.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie). Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“
