Rechtsgrundlage und Zielsetzung des Ausstellungsverbots
Seit der Neufassung der Tierschutz-Hundeverordnung zum 1. Januar 2022 gilt ein umfassendes Ausstellungsverbot für Hunde mit Qualzuchtmerkmalen oder tierschutzwidrigen Amputationen. Die Regelung zielt darauf ab, zuchtbedingtes Tierleid nicht auch noch durch öffentliche Prämierung zu fördern. Das Verbot greift unmittelbar – eine gesonderte behördliche Verfügung braucht es nicht. Wer Hunde mit einschlägigen Defekten ausstellt oder als Veranstalter duldet, handelt ordnungswidrig. Betroffen sind Merkmale, die Schmerzen, Leiden oder Schäden hervorrufen, etwa das brachyzephale Atemwegssyndrom, neurologische Störungen oder orthopädische Fehlbildungen wie Hüftdysplasie.
Behördliche Anordnungen zur Gefahrenabwehr
Veterinärbehörden setzen das gesetzliche Verbot durch präventive Anordnungen um. Diese richten sich typischerweise an die Veranstalter von Hundeausstellungen und zielen darauf ab, zukünftige Verstöße zu verhindern. Dabei wird differenziert: Hunde mit sichtbaren Defekten (z.?B. Rutenverkürzung oder deformierte Schädel) dürfen nur mit tierärztlichem Nachweis ihrer Nichterblichkeit teilnehmen. Hunde potenziell betroffener Rassen mit verdeckten Defekten (z.?B. Keilwirbel, Patellaluxation) müssen durch ein fachtierärztliches Gutachten als „defektfrei“ bescheinigt werden.
Rechtsdogmatische Fundierung: Kein Einzelfallverbot erforderlich
Die Argumentation des VDH, das Ausstellungsverbot sei eine bloße Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt, verkennt die Systematik: §?10 TierSchHuV enthält ein präventives Verbot mit unmittelbarer Geltung. Veranstalter und Halter müssen also eigenverantwortlich sicherstellen, dass keine betroffenen Tiere teilnehmen. Ein Verstoß kann geahndet werden, ohne dass zuvor ein individueller Verbotsbescheid ergangen sein muss.
Gefahrenbegriff und Rassedisposition: Maßgeblich ist die Wahrscheinlichkeit
Maßstab für behördliches Einschreiten ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines künftigen Verstoßes. Eine generelle Rassezugehörigkeit reicht hierfür allein nicht – wohl aber, wenn wissenschaftlich belegt ist, dass innerhalb einer Rasse bestimmte Qualzuchtmerkmale mit hoher Prävalenz auftreten. Dann darf die Behörde mit der Annahme arbeiten, dass bei einer geplanten Ausstellung mit einer relevanten Anzahl betroffener Hunde zu rechnen ist.
Beispielhafte Umsetzung in der Praxis
Erfolgreich umgesetzt wurde dies etwa durch das Veterinäramt Erfurt: Dort wurden Veranstaltern Auflagen gemacht, nur solche Hunde zur Ausstellung zuzulassen, die nachweislich keine der rassespezifischen Defekte aufweisen. Das betraf unter anderem Rassen wie Mops, Französische Bulldogge oder Rottweiler, bei denen bestimmte Merkmale wie BOAS oder HD regelmäßig vorkommen. Veranstalter konnten entweder durch Gutachten den Einzelfall nachweisen oder durch Daten die geringe Rassedurchseuchung (unter 5?%) glaubhaft machen.
Verhältnismäßigkeit und Beweisführung
Die geforderten Untersuchungen müssen nicht invasiv sein. Häufig reichen klinische Untersuchungen oder Gentests. Ein Röntgenbild der Hüfte, das in seriösen Zuchtprogrammen ohnehin Standard ist, genügt für den Nachweis der HD-Freiheit. Ein vollständiger Ausschluss einer Rasse ohne Differenzierung wäre unverhältnismäßig – die aktuell praktizierten Anordnungen stellen hingegen mildere Mittel dar. Die Umkehr der Beweislast wird durch die besondere Nähe der Halter und Zuchtvereine zur Tiergesundheit gerechtfertigt.
Das QUEN-Netzwerk als evidenzbasierte Referenz
Zur Bewertung der Relevanz von Defekten in bestimmten Rassen ist das Qualzucht-Evidenz-Netzwerk (QUEN) eine zentrale Referenz. Die dort geführten Merkblätter stützen sich auf aktuelle veterinärmedizinische Daten und ermöglichen eine sachgerechte Einschätzung der Gefahrenlage. Gerade bei verdeckten Merkmalen liefern diese Informationen eine belastbare Grundlage für Anordnungen der Behörden. Auch die Rechtsprechung – etwa das VG Düsseldorf – erkennt QUEN als sachverständige Quelle an.
Praktische Probleme bei der Umsetzung
In der Umsetzung zeigen sich allerdings auch Herausforderungen: Untersuchungen kosten Geld und Zeit, und nicht alle Halter sehen die Notwendigkeit ein. Zudem sind Veranstalter auf die Mitwirkung der Aussteller angewiesen, deren Anzahl und Identität zum Zeitpunkt der Anordnung noch unbekannt sein kann. Die Behörden setzen daher oft auf standardisierte Auflagen mit definierten Untersuchungsbögen. Auch die knappe Frist zwischen Anzeige der Ausstellung (gesetzlich: 4 Wochen) und Veranstaltungstermin erschwert eine individuell maßgeschneiderte Verfügung.
Empfehlungen für Behörden und Veranstalter
Um rechtssicher zu agieren, sollten Veterinärbehörden frühzeitig Gefahrerforschung betreiben – idealerweise durch standardisierte Abfragen bei Veranstaltern zu Rassen, Teilnehmerzahlen und geplanten Prüfungen. Veranstalter wiederum sollten alle relevanten Informationen aus der QUEN-Datenbank heranziehen und Ausstellern vorab verbindliche Anforderungen mitteilen. Die Behörden sollten – bei knapper Frist oder unzureichender Mitwirkung – auch auf weniger detaillierte, aber rechtlich tragfähige Maßnahmen zurückgreifen dürfen.
Fazit: Behördliches Einschreiten ist rechtmäßig und erforderlich
Das Ausstellungsverbot nach §?10 TierSchHuV ist nicht bloß eine theoretische Vorschrift, sondern ein wirksames Instrument zur Eindämmung von Qualzuchten. Die Praxis der Behörden, auf Basis gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse präventiv einzugreifen, ist sowohl rechtlich zulässig als auch ethisch geboten. Die Möglichkeit, durch fachtierärztliche Gutachten oder valide Daten einen Ausnahmetatbestand zu belegen, stellt sicher, dass individuelle Hunde nicht pauschal ausgeschlossen werden. QUEN liefert dabei die entscheidende Faktenbasis. Für Halter und Veranstalter bedeutet das: Der Weg zur Ausstellung führt über Verantwortung und Transparenz.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie). Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“