Das deutsche Tierschutzgesetz bildet das Dach, unter dem sich sämtliche Regelwerke rund um die Pferdehaltung einordnen. Es betont den Eigenwert jedes Tieres und verpflichtet den Menschen, Leben und Wohlbefinden zu schützen. Aus diesem Leitbild ergibt sich unmittelbar, dass Pferdehalter die artspezifischen Bedürfnisse ihrer Tiere kennen, respektieren und praktisch umsetzen müssen. Das Gesetz wirkt damit wie ein Kompass: Es gibt die Richtung vor, während fachliche Leitlinien – etwa jene zur Beurteilung von Pferdehaltungen – als Landkarte dienen, um den Weg zu detaillierten Standards zu finden.
Pflichten des Halters im täglichen Management
Die zentralen Forderungen des Gesetzes spiegeln sich im Stallalltag wider. Pferde müssen angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden. „Angemessen“ bedeutet in der Praxis, Raufutter so bereitzustellen, dass Körper und Psyche gleichermaßen versorgt sind und Fresspausen nicht ausufern. „Pflege“ reicht von der täglichen Kontrolle auf Verletzungen bis zum regelmäßigen Hufbeschlag. „Verhaltensgerecht“ zwingt den Halter, genügend Sozialkontakte, freie Bewegung und sichere Ruhezonen zu ermöglichen. Zudem verlangt der Gesetzgeber, dass niemand die artgemäße Bewegung so einschränken darf, dass vermeidbare Leiden entstehen – eine klare Ansage gegen dauerhafte Einzelboxen ohne Auslauf oder ungenügend dimensionierte Paddocks.
Einfluss auf Stallbau, Auslauf und Haltungssysteme
Bauprojekte werden heute bereits in der Planungsphase am Maßstab des Tierschutzgesetzes gemessen. Boxen- und Liegeflächen müssen so groß sein, dass sich Pferde ungehindert hinlegen und in Seitenlage ausstrecken können. Lüftung, Lichtführung und Temperaturführung haben sich an der natürlichen Anpassungsfähigkeit des Pferdes zu orientieren, statt das Tier an enge technische Grenzen zu fesseln. Ebenso fordert das Gesetz sichere, gut sichtbare Einzäunungen: Verletzungsquellen wie Knotengitter oder ungeschützte Stacheldrähte sind mit der gesetzlichen Vorgabe, Schmerzen zu vermeiden, unvereinbar. Das Ergebnis sind durchdachte Offenställe, Aktivlaufställe und weiche, drainierte Auslaufflächen, die auch bei Dauerregen tragfähig bleiben.
Tiergerechte Fütterung und Gesundheitsvorsorge
Ein Schwerpunkt des Gesetzes ist die Vermeidung vermeidbarer Schmerzen oder Schäden. Im Fütterungsmanagement heißt das: Rationen müssen dem Energiebedarf entsprechen, Kolik- und Stoffwechselrisiken dürfen nicht in Kauf genommen werden. Das gilt für das leichtfuttrige Freizeitpony ebenso wie für die laktierende Zuchtstute. Gleiches Prinzip bei der Gesundheitsvorsorge: Entwurmung, Impfungen und Zahnkontrolle sind keine freiwilligen Extras, sondern konkrete Umsetzungen der gesetzlichen Pflicht zur Gesunderhaltung. Wer diese Aufgaben vernachlässigt, handelt nicht nur unethisch, sondern verstößt gegen geltendes Recht.
Sachkunde als zentrale Voraussetzung
Das Gesetz stellt die Sachkunde des Halters ausdrücklich heraus. Damit ist zweierlei gemeint: aktuelles Fachwissen und praktische Fertigkeiten. Lehrgänge zu Fütterung, Bodenarbeit, Erste Hilfe oder Zaunkontrolle sind daher keine Kür mehr, sondern Teil der Sorgfaltspflicht. Betriebe, in denen Angestellte die Versorgung übernehmen, müssen sicherstellen, dass jede betreuende Person diese Sachkunde ebenfalls besitzt. Das Gleiche gilt für Tierärzte, Hufbearbeiter oder Trainer, die der Halter hinzuzieht – denn er bleibt für deren Auswahl verantwortlich.
Kontrolle, Vollzug und Rechtsfolgen
Weil das Tierschutzgesetz öffentliches Recht ist, überwachen Veterinärbehörden seine Einhaltung. Die Leitlinien dienen ihnen als antizipiertes Sachverständigengutachten, wenn es um die Bewertung konkreter Haltungsfälle geht. Mängelberichte, Anordnungen oder im Extremfall Wegnahme eines Pferdes basieren somit immer auf den gesetzlichen Vorgaben. Wer diese unterschätzt, riskiert nicht nur Bußgelder oder Strafverfahren, sondern auch zivilrechtliche Haftungsansprüche, falls Dritte oder ihre Tiere zu Schaden kommen. Versicherer prüfen zunehmend, ob der Betrieb tierschutzkonform geführt wird, bevor sie Leistungen erbringen.
Motor für Innovation und gesellschaftliche Akzeptanz
Das Gesetz ist nicht bloß ein Verbotskatalog, sondern treibt technische und organisatorische Innovationen an. Staubarme Einstreualternativen, automatisierte Raufutterstationen oder IT-gestützte Weidemanagementsysteme sind Antworten auf die Pflicht, Leiden auszuschließen und artgemäßes Verhalten zu fördern. Darüber hinaus schafft das Gesetz Akzeptanz in einer Öffentlichkeit, die Pferdehaltung kritisch begleitet: Wer transparent zeigt, dass er die gesetzlichen Leitplanken nicht nur einhält, sondern übertrifft, gewinnt Vertrauen von Kunden, Behörden und Nachbarn. Langfristig sichern tierschutzgerechte Standards die Wirtschaftlichkeit, weil gesunde, stressfreie Pferde seltener ausfallen, leistungsbereiter bleiben und Tierarztkosten sinken.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie). Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“