: : Europas Naturschutz am Scheideweg – Die politisch motivierte Kehrtwende beim Wolfsschutz

Der europäische Naturschutz steht unter Druck

Was über Jahrzehnte hinweg als ein Paradebeispiel erfolgreicher EU-Naturschutzpolitik galt, gerät nun ins Wanken: Der strenge Schutzstatus des Wolfs soll aufgeweicht werden. Die Europäische Kommission hat im Dezember 2023 angekündigt, den Schutzstatus des Wolfs auf europäischer Ebene zu überprüfen – mit dem Ziel, ihn herabzustufen. Diese Ankündigung steht nicht nur im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auch zur bisherigen Linie der EU im Bereich Biodiversitätsschutz. Die geplante Änderung stellt eine fundamentale Abkehr von der in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie verankerten Logik dar, wonach streng geschützte Arten ihren Status nur verlieren sollten, wenn ihr Erhalt nicht mehr gefährdet ist – nicht, weil sie politisch unbequem werden.

Die Presseerklärung der Kommission – viel Politik, wenig Wissenschaft

In ihrer Erklärung stellt die Kommission die Initiative als pragmatische Antwort auf „zunehmende Konflikte“ zwischen Menschen und Wölfen dar. Weder die angebliche Zunahme solcher Konflikte noch die tatsächliche Gefährdung von Nutztieren durch Wölfe wird dabei wissenschaftlich fundiert dargelegt. Vielmehr spricht die Kommission von einem „signifikanten Anstieg der Wolfspopulationen und -gebiete“, der „zu Herausforderungen“ führe. Konkrete Daten zur Gefährdungslage fehlen. Stattdessen beruft man sich auf „Rückmeldungen von lokalen Gemeinschaften und Interessenträgern“ – eine politische Floskel, die darauf hindeutet, dass es weniger um den Schutz von Menschen oder Nutztieren geht als vielmehr um die Befriedung lautstarker Lobbyinteressen aus der Agrar- und Jagdbranche.

Wölfe als Sündenböcke – ein Scheingefecht auf Kosten des Naturschutzes

Der Wolf ist kein Bedrohungsszenario für die europäische Landwirtschaft. Die meisten wissenschaftlichen Studien zeigen, dass Wolfsübergriffe auf Nutztiere in absoluten Zahlen sehr gering sind und durch entsprechende Schutzmaßnahmen – wie Zäune, Herdenschutzhunde oder nächtliche Stallhaltung – deutlich reduziert werden können. Die Schäden, die Wölfe in der Landwirtschaft verursachen, bewegen sich im Vergleich zu anderen Faktoren wie Klimawandel, Preisdruck durch Handel oder Tierseuchen im Promillebereich. Dennoch wird der Wolf regelmäßig als politisches Symbol für eine angeblich „stadtferne“ Naturschutzpolitik instrumentalisiert – mit dem Effekt, dass das eigentliche Problem, nämlich die mangelnde Förderung praxisgerechter Herdenschutzmaßnahmen, in den Hintergrund rückt.

Rechtlich fragwürdig: Die geplante Herabstufung widerspricht dem EU-Recht

Auch juristisch ist die angestrebte Herabstufung höchst problematisch. Die FFH-Richtlinie sieht eine Herabstufung des Schutzstatus nur unter engen Voraussetzungen vor, insbesondere dann, wenn eine Tierart einen günstigen Erhaltungszustand erreicht hat – und dies auf der Ebene der jeweiligen biogeographischen Regionen, nicht bloß in einzelnen Mitgliedstaaten oder Bundesländern. Die Wolfspopulationen in Europa sind jedoch nach wie vor fragmentiert. Viele Rudel sind genetisch isoliert, die Bestände in Teilen Südeuropas oder Osteuropas keineswegs stabil. Eine pauschale Herabstufung des Schutzstatus widerspricht somit der Logik der Richtlinie und dürfte bei rechtlicher Überprüfung kaum Bestand haben. Zudem steht sie im klaren Gegensatz zur Biodiversitätsstrategie der EU, die bis 2030 den Schutz gefährdeter Arten und Lebensräume eigentlich ausweiten will.

Ökologisch kontraproduktiv: Der Wolf als Schlüsselart

Ökologisch betrachtet erfüllt der Wolf eine wichtige Funktion als Spitzenprädator. Seine Rückkehr hat vielerorts zu einem gesünderen Gleichgewicht in den Ökosystemen geführt. Wo Wölfe dauerhaft präsent sind, ändert sich das Verhalten von Wildtieren wie Rehen oder Wildschweinen: Sie meiden offene Flächen, übernutzen Vegetationszonen weniger stark, was wiederum seltenen Pflanzenarten zugutekommt. Dieser Effekt wurde unter anderem im Yellowstone-Nationalpark nachgewiesen, ist aber auch in Teilen Europas dokumentiert. Eine Politik, die den Wolf wieder auf die Liste der jagdbaren Arten setzt, würde diese positiven ökologischen Entwicklungen gefährden – und langfristig auch andere Schutzbemühungen konterkarieren.

Symbolpolitik statt Lösungen: Herdenschutz wird weiter vernachlässigt

Ein zentrales Problem bleibt ungelöst: die unzureichende Unterstützung von Tierhaltern beim Herdenschutz. In vielen Regionen fehlt es an finanzieller und logistischer Hilfe beim Bau wolfsabweisender Zäune, an Schulungen im Umgang mit Herdenschutzhunden oder an rechtssicheren Regelungen für Ausgleichszahlungen bei Rissen. Statt hier gezielt zu investieren, wird mit der Absenkung des Schutzstatus eine Scheindebatte bedient. Die Folgen wären fatal: nicht nur für den Wolf, sondern auch für die Akzeptanz des Naturschutzes insgesamt. Wenn der Eindruck entsteht, dass Schutz nur solange gilt, wie er politisch opportun ist, verliert das Umweltrecht seine Glaubwürdigkeit.

Ein Präzedenzfall mit Signalwirkung

Die geplante Herabstufung des Wolfsschutzes wäre ein Dammbruch. Wenn eine derart symbolträchtige Art aus rein politischem Kalkül dem Schutz entzogen werden kann, wird dies auch bei anderen Tierarten Schule machen. Die nächsten Kandidaten stehen längst bereit: Fischotter, Biber oder Kormoran sind in vielen Regionen Europas Ziel von Lobbykampagnen. Einmal aufgeweicht, wird das Prinzip des strengen Artenschutzes nicht mehr ohne Weiteres durchsetzbar sein.

Fazit: Jetzt ist entschlossener Widerstand gefragt

Die Rückkehr des Wolfs war über Jahrzehnte ein Erfolg gemeinsamer europäischer Anstrengungen. Sie steht heute sinnbildlich für den Erhalt von Wildnis und Artenvielfalt in einer zunehmend industrialisierten Landschaft. Wer diesen Schutz nun aus politischen Motiven aufweicht, riskiert nicht nur den Verlust einer Tierart, sondern auch das Vertrauen in eine wissenschaftsbasierte, verlässliche Umweltpolitik. Jetzt ist der Moment, um dem entgegenzutreten – juristisch, politisch und zivilgesellschaftlich.

Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie). Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“

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