Falsch belehrt ist richtig teuer (Dressur-Studien 01/2020)

(Warnung: In diesem Text geht es um den Tod eines Pferdes. Wenn Sie ein empfindliches Gemüt haben, lesen Sie den Text bitte lieber nicht.)

Ein Tierarzt behandelt ein Pferd und macht dabei alles richtig. Trotzdem verurteilt ihn ein Gericht dazu, an die Eigentümerin des Pferdes 250.000 Euro Schadensersatz zu bezahlen. Wenn Sie das jetzt nicht auf Anhieb verstehen, fühlen Sie sich getröstet: Was das Oberlandesgericht München da frisch entschieden hat, versteht auch nicht jeder Jurist. Reicht es denn nicht, wenn jemand für Schäden haftet, die er durch falsche Behandlung verursacht? Warum sagen Richter einem Veterinär „Das war schon okay im Großen und Ganzen“ und hauen ihn dann in die Pfanne?

Zuerst einmal: Das Pferd, um das es hier ging, ist verstorben und konnte daher nicht – wie von der Eigentümerin erhofft – eine große internationale Karriere hinlegen. Das betrachten wohl manche Eigentümer solcher Pferde vor allem als finanziellen Schaden und da kommen Schuldige immer gelegen. In diesem Fall bot sich fraglos der Tierarzt an, der das Tier unmittelbar vor seinem – sehr plötzlichen – Tod behandelt hatte. Er gab dem Tier ein homöopathisches Medikament, das er zuvor mit frisch entnommenem Blut genau dieses Pferdes gemischt und dann wieder gespritzt hatte. Ich würde durchaus annehmen, dass bei dieser Konstellation die wenigsten Leute spontan erwarten würden, dass das Pferd ein paar Minuten später tot in der Stallgasse liegt. Wenigstens das sollten Sie also aus dieser Kolumne mitnehmen: Auch Dinge, an die niemand vorher spontan denken würde, passieren.

Weil sie – gut verständlich – einen direkten Zusammenhang zwischen der Behandlung und dem Tod des Pferdes nur Augenblicke danach vermutete, zog die Eigentümerin vor Gericht. Die Berufshaftpflicht des Tierarztes wird über die Klage in Höhe von 1,75 Millionen Euro wenig amüsiert gewesen sein und so landen Prozesse dann halt irgendwann in zweiter Instanz vor einem Oberlandesgericht. Die erste Instanz hatte die Ansprüche zwar schon auf 250.000 Euro gekappt, weil sie den Wert des Pferdes substanziell anders einschätzte als die Klägerin, in der Kernfrage stimmte das Gericht ihr aber zu: Der Tierarzt müsse zahlen.

Genau davon war nun auch die damit befasste Kammer des Oberlandesgerichts überzeugt. Deren Vorsitzender wurde in der Fachpresse mit folgenden Worten über den Tierarzt zitiert: „Seine Verurteilung, die von uns bestätigt worden ist, beruht nicht darauf, dass er was falsch gemacht hat in der Behandlung des Pferdes.“ Aber was, werden Sie jetzt vielleicht denken, was hat er denn nun falsch gemacht? Nun: Er hat die Eigentümerin des Pferdes nicht darüber aufgeklärt, dass auch dann etwas schiefgehen kann, wenn man einem Pferd eine Dosis seines eigenen Blutes spritzt, in der vorher ein homöopathisches Nichts aufgelöst worden ist. Willkommen in der wunderbaren Welt des theoretisch Möglichen und des konkret Katastrophalen, in der vor allem Juristen leben.

Der Tierarzt, so führte das Oberlandesgericht bei der Urteilsverkündung aus, hätte die Eigentümerin des Pferdes ausdrücklich darüber aufklären müssen, dass „Gefahren bestehen, Risiken, bis hin zum Todesrisiko.“ Der Arzt selbst hatte sich vor Gericht noch damit verteidigt, eine ständig neue Aufklärung sei praktisch gar nicht möglich, schließlich könne ein Pferd allein schon durch das Stechen mit einer Nadel sterben. Das wollte das Gericht aber nicht gelten lassen, jedenfalls sei auch vor möglichen Risiken einer naturkundlichen Behandlung aufzuklären.
Wenig überraschend trug die Klägerin dann auch vor Gericht vor, dass sie die Behandlung nicht erlaubt hätte, wäre sie über die Risiken aufgeklärt worden. Das kann man glauben oder nicht – im Prozess war ihr das jedenfalls offensichtlich nicht zu widerlegen.

Wer solche Urteile liest, lacht hinterher etwas weniger über die komischen Amerikaner, die selbst auf Kaffeebecher noch schreiben, dass der Inhalt heiß sein könne oder per Aufkleber davor warnen, Haustiere in der Mikrowelle zu trocknen. Sollte Ihnen Ihr Tierarzt also demnächst vor der Behandlung eines Pferdehustens neben dem schriftlichen Behandlungsauftrag, seinen allgemeinen Auftragsbedingungen, der Widerrufsbelehrung und den Datenschutzhinweisen auch noch ein paar ausführliche Belehrungen über potenzielle Behandlungsrisiken aushändigen: Haben Sie Verständnis. Er hat nichts falsch gemacht.

Dieser Text stammt aus der Ausgabe 01/2020 der Dressur-Studien, die Sie hier erwerben können.

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