Fundtierstatus und tierärztliche Versorgung: Wer trägt die Kosten?
Tiere, die verletzt, krank oder hilflos aufgefunden werden und keinen erkennbaren Besitzer haben, gelten grundsätzlich als Fundtiere. Gemäß § 965 BGB ist das zuständige Fundbüro – meist die örtliche Ordnungsbehörde – dafür verantwortlich, solche Tiere entgegenzunehmen. Damit verbunden ist auch die Pflicht, für deren notwendige Versorgung zu sorgen. Notfallbehandlungen beim Tierarzt, aber auch weitere medizinisch indizierte Maßnahmen wie Operationen, Schmerztherapien oder Diagnostik gehören in den Rahmen dieser Versorgungspflicht, soweit sie dem Ziel dienen, das Tier gesund zu erhalten oder Leiden zu vermeiden.
Ein häufiger Irrtum: Die kommunale Kostentragungspflicht endet nicht nach einer „Erstversorgung“. Vielmehr hat die Behörde die vollständige, notwendige medizinische Betreuung sicherzustellen, solange der Fundtierstatus besteht. Erst wenn ein Eigentümer eindeutig festgestellt und in Anspruch genommen werden kann, kann ein Übergang der Kostentragung erfolgen.
Abgrenzung zwischen Fundtier und ausgesetztem Tier
Ein Tier, das mit gesundheitlichen Problemen aufgefunden wird, wirft oft die Frage auf, ob es schlicht weggelaufen oder aktiv ausgesetzt wurde. Diese Unterscheidung ist rechtlich bedeutsam, insbesondere im Hinblick auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen nach § 3 Nr. 3 TierSchG, der das Aussetzen oder Zurücklassen eines Tieres unter Strafe stellt. Allerdings genügt dafür nicht der bloße Verdacht – es braucht handfeste Beweise, dass das Tier wissentlich und willentlich ausgesetzt wurde.
Fehlt ein Chip oder eine Tätowierung, wird es ohne weitere Nachweise schwierig, einen konkreten Eigentümer zu identifizieren. Auch wenn mehrere Personen übereinstimmend angeben, das Tier regelmäßig an einer bestimmten Adresse gesehen zu haben, reicht das für sich allein nicht aus, um einen Halter oder Eigentümer gerichtsfest zu bestimmen.
Zeugenaussagen und Indizien: Was reicht als Eigentumsnachweis?
Im Zivilrecht gilt: Wer Ansprüche gegen eine bestimmte Person geltend machen will – etwa wegen Kostenübernahme für eine tierärztliche Behandlung –, trägt die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Dazu zählt insbesondere der Nachweis, dass die betreffende Person Halter oder Eigentümer des Tiers ist.
Indizien können helfen: Fotos des Tieres an der Adresse, frühere Social-Media-Posts der mutmaßlichen Halterin mit dem Tier, tierärztliche Unterlagen oder auch Aussagen Dritter, die aus eigener Anschauung bestätigen, dass die Person das Tier versorgt hat. Doch all diese Mittel unterliegen der richterlichen Bewertung. Je vager die Beweislage, desto schwieriger wird es, erfolgreich zu klagen.
Screenshots von Chatverläufen können helfen, sofern sie konkret sind und die Äußerung des mutmaßlichen Halters belegen, dass das Tier ihm gehört oder gehörte. Schwierig wird es allerdings, wenn eine ursprünglich getätigte Aussage später widerrufen wird oder die Person ihre Haltereigenschaft schlicht bestreitet.
Verhalten von Behörden: Aufgaben von Veterinäramt und Kommune
Das Veterinäramt ist keine Ermittlungsbehörde für Eigentumsverhältnisse. Seine Zuständigkeit liegt primär im Tierschutzvollzug, insbesondere bei der Überwachung von Tierhaltungen, dem Erlass von Haltungsverboten oder der Anordnung tierschutzrechtlicher Maßnahmen. Ein aktives Eingreifen ist regelmäßig nur dann angezeigt, wenn konkrete, nachweisbare Verstöße gegen das Tierschutzgesetz vorliegen.
Die Kommune hingegen handelt als Fundbehörde. Sie ist verpflichtet, Fundtiere aufzunehmen und deren Versorgung zu sichern. In der Praxis geschieht dies oft durch vertraglich gebundene Tierschutzvereine oder Tierheime. Diese übernehmen auf Anweisung der Kommune die Verwahrung und Versorgung – das entbindet die Kommune aber nicht von ihrer grundsätzlichen Verantwortung.
Kommt es zum Streit über die Kostentragung, ist entscheidend, ob der Tierschutzverein tatsächlich im Auftrag der Kommune tätig geworden ist und dies belegbar ist – etwa durch Fundanzeige, Protokolle oder schriftliche Kommunikation. Eigene Entscheidungen über weitergehende Behandlungen ohne Rücksprache mit der Kommune bergen das Risiko, auf den Kosten sitzen zu bleiben.
Wenn ein Tierarzt eingeschaltet werden muss: Handlungsoptionen im Notfall
Ein Tier in akutem Leiden muss unverzüglich tierärztlich behandelt werden – das gebietet § 1 TierSchG. Wer ein solches Tier auffindet, darf und soll es einem Tierarzt zuführen. Eine fundierte Abklärung des Fundtierstatus kann in akuten Notlagen nachgeholt werden, sollte aber so schnell wie möglich nachgeholt werden.
Wird das Tier direkt in eine Klinik gebracht, ohne vorherige Meldung an die Fundbehörde, ist es wichtig, die Versorgung sofort nachträglich als Fundtierfall bei der Kommune anzuzeigen. Nur dann besteht überhaupt eine Chance auf eine Übernahme der Kosten durch die öffentliche Hand.
Verweigerung der Rücknahme als Indiz für Aussetzen?
Wenn eine mutmaßliche Halterin ein möglicherweise ihr gehörendes Tier nicht abholt oder gar die Existenz des Tiers bestreitet, obwohl mehrere Zeugen das Gegenteil behaupten, kann das den Verdacht eines Aussetzens nähren. Doch solange kein eindeutiger Nachweis für die Haltereigenschaft erbracht werden kann, bleibt dieser Verdacht rechtlich folgenlos. Behörden sind hier oft zurückhaltend, da sie Sanktionen nicht auf bloße Vermutungen stützen dürfen.
Wie weiter mit dem Tier? Dauerhafte Unterbringung und Eigentumsfrage
Wird für ein Fundtier auch nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Frist von sechs Monaten (§ 973 BGB) kein Eigentümer festgestellt, kann das Tier unter bestimmten Voraussetzungen in das Eigentum des Finders oder der Fundbehörde übergehen. Diese Rechtslage eröffnet Möglichkeiten zur dauerhaften Vermittlung, stellt jedoch zugleich hohe Anforderungen an die Dokumentation des Fundvorgangs.
Für Tierschutzvereine bedeutet das: Je sauberer der Ablauf dokumentiert ist, desto klarer die Rechtslage im Nachhinein. Die Fundanzeige, der Zeitpunkt des Fundes, die beteiligten Behördenkontakte und medizinischen Maßnahmen sollten präzise festgehalten werden.
Fazit: Sorgfältige Dokumentation und realistische Einschätzung
Auch wenn moralisch vieles für ein Fehlverhalten des mutmaßlichen Halters spricht, ist die juristische Durchsetzung von Ansprüchen auf Erstattung oder gar ein Tierhaltungsverbot rechtlich ein steiniger Weg. Ohne klare Beweise wird es kaum möglich sein, Ansprüche gegen Dritte durchzusetzen.
Tierschutzvereine sollten daher konsequent auf ihre Rolle als Dienstleister für die Kommune pochen und bei Unsicherheiten vor weitergehenden Maßnahmen eine schriftliche Rücksprache mit der Fundbehörde einholen. So lassen sich spätere Streitigkeiten um Kosten oder Zuständigkeiten vermeiden.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld. Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“