Gott gibt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht für uns (Dressur-Studien 03/2013)

„Gott gibt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht für uns.“ Ich habe den Chef einer größeren Pferdeklinik angerufen, um mit ihm über die Rechnung zu sprechen, die er einer Mandantin geschickt hatte. Knapp 2.000 Euro für diagnostische Leistungen, die sich im Ergebnis als weitgehend nutzlos herausgestellt haben. Das Pferd ist tot, die Mandantin geschockt. In der Akte sammelt sich das Drama, verteilt über zwei Wochen und zwei Kliniken. Jetzt geht es um die Frage, weshalb die Rechnung der ersten Klinik bezahlt werden sollte, wenn doch erst die zweite die richtigen Fragen gestellt hat? Es könnte eine dicke Akte werden.

Was war passiert? Eines Morgens stand das Pferd der Mandantin nur noch auf drei Beinen, als sie an die Weide kam. Massive Lahmheit hinten rechts, der Arzt vor Ort riet telefonisch zur Fahrt in die Klinik. Deren Mitarbeiter hatten erst einmal keine Zeit: „Lassen Sie es hier, wir sehen morgen danach.“ Einen Tag und diverse Röntgenaufnahmen später gab es aber auch keine Ergebnisse. Gefunden wurde nichts, gleichwohl blieb das Pferd lahm, es wurden neuerliche Untersuchungen angesetzt. Nur nicht mehr heute, denn ein Feiertag stünde bevor. „Lassen Sie das Pferd einfach hier, wir kümmern uns dann darum.“ Der Feiertag verstrich, ebenso der darauffolgende Brückentag. Rückfragen am Samstag führten zu nichts, erst am Sonntag meldete sich überraschend ein Arzt: Man könne noch immer nichts finden. Es sei vielleicht besser, eine weitere Klinik zu befragen, die andere Möglichkeiten habe.

Die zweite Klinik, von der ersten rund 100 Kilometer entfernt, wollte die Röntgenbilder der vorherigen Untersuchung nicht einmal ansehen. Das Kniegelenk sei dick, das sei direkt zu sehen, anhand der Symptome ließe das auf einen Kreuzbandriss schließen. Ein endoskopischer Eingriff brachte noch am gleichen Tag traurige Gewissheit, auf Rat der Mediziner wurde das schon recht betagte Pferd erlöst. Kosten der Aktion in Klinik Nummer zwei: 1.300 Euro.

Kann das richtig sein? Der ersten Klinik fast 2.000 Euro zahlen zu sollen für den tagelang verzögerten Rat, lieber in Klinik zwei zu fahren, die umgehend und für deutlich weniger Geld ein wenn auch trauriges Ergebnis erzielte? Mit seinem Goethe-Zitat vom Textanfang wollte der Chef der ersten Klinik diese Frage jedenfalls bejahen. Es sei schließlich nicht in jedem Fall ein diagnostischer Königsweg gegeben, manchmal brauche es viele kleine günstige Maßnahmen, um sich den Weg zur Erkenntnis zu bahnen. Und die seien in der Summe eben manchmal teurer als die eine, zufällig genau richtige Methode. Falsch, meint die Mandantin. Die Mediziner können doch nicht einfach kostensteigernd vor sich hin untersuchen, wenn schon die ersten Routine-Checks ins Leere laufen. Dann sei doch eine Absprache mit der Kundin notwendig, erst recht, wenn das Pferd dann noch tagelang gegen gutes Geld in der Klinik eingestallt wird.

„Jein“, sagt der Jurist. Denn die Tatsache, dass ein Teil der Kosten in der ersten Klinik nur entstand, weil das Pferd zwischen den Untersuchungen dort eingestallt wurde, ist nicht per se zu beanstanden. Kein (unangemeldeter) Kunde hat einen Anspruch darauf, bei Eintreffen sofort und ohne Wartezeit bedient zu werden – oder höchstens mit einer Notversorgung, die erste Schmerzen lindert und sicherstellt, dass kein weiterer Schaden entsteht. Auch wenn es in der Praxis eher schwierig ist: Aus rechtlicher Sicht sollte ein Kunde, der mit seinem Pferd nicht warten und die Einstallung vermeiden will, die Klinik wechseln oder später wieder anreisen.

Und die scheinbar unnützen Behandlungskosten? Grundsätzlich gilt: Wer durch Übergabe seines kranken Pferdes einen Behandlungsvertrag mit der Klinik schließt, muss sich im Zweifel vorher erkundigen, was getan wird und was es kostet. Findet eine solche Absprache nicht explizit statt, richtet sich die Bewertung später danach, was als üblich anzusehen ist – im vorliegenden Fall also beispielsweise danach, welcher Weg der Diagnostik üblicherweise bei Vorliegen dieses konkreten Krankheitsbildes zu wählen wäre. Das schließt die entsprechenden technischen Aufwände ein. Erst, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass bestimmte Maßnahmen unnütz waren, ist eine Streichung denkbar. Während die Mediziner einer Klinik in der Regel gute Begründungen dafür finden, warum alle Rechnungspositionen so und nicht anders notwendig gewesen wären, haben es medizinische Laien häufig schwer, das Gegenteil nachzuweisen. Und: Die Erfahrung zeigt, dass es komplett nutzlose Maßnahmen nur relativ selten gibt.

Deshalb muss aber nicht gleich auf einen Rechnungsprotest verzichtet werden. Denn häufig lassen sich Kliniken durch eine sachliche Argumentation davon überzeugen, dass eine Kürzung der Rechnung für alle der bessere Weg ist. Denn Gerichte können über die Berechtigung einzelner Positionen häufig nur mit Beteiligung eines medizinischen Gutachters entscheiden – mit unangenehmen Folgen für das Prozessrisiko beider Parteien.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 03/2013 der Dressur-Studien, die Sie hier erwerben können.

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