Die Geschichte, von der ich Ihnen heute erzählen will, dreht sich um einen Hund. Aber lassen Sie sich nicht täuschen: Ebenso könnte es um ein Pferd gehen, denn um welches Tier es sich in dieser Geschichte dreht, ist völlig gleich. Überhaupt hat das Tier an sich in diesem Fall eine ziemlich kleine Rolle gespielt und das ist nur einer von vielen Gründen, sich sehr über das aufzuregen, was einer Mandantin jüngst geschah. Auch der Mensch hat keine Rolle mehr gespielt, und deshalb haben am Ende alle verloren: Der Hund, der Mensch, die Behörde, der Rechtsstaat.
Die Mandantin kümmert sich seit vielen Jahren um kranke und alte Tiere. In ihr Haus hat die gelernte Tierarzthelferin immer die Kreaturen aufgenommen, die beim Tierschutz übrig blieben – weil sie krank oder sehr alt waren, schwierig im Umgang oder weil keiner so recht herausbekam, wie sie angemessen zu füttern waren. Viele solcher Tiere haben ihre letzten Jahre bei der Mandantin verlebt, und sie konnte diese Arbeit nicht ausführen, ohne dass sie auch auf ihr Leben abfärbte: Sie wurde Spezialistin für seltene Krankheiten, eignete sich profundes Wissen über Futtermittel und Arzneien an, informierte sich intensiv über Behandlungsmöglichkeiten auch für schwere Fälle. Und sie litt mit den kranken Tieren, ihrem Leid und ihren Schmerzen, litt am Ende auch am Tod ihrer Patienten.
Und irgendwann war da der Wunsch, nach all den Jahren auch einmal ein Tier zu haben, dass kein Problemfall ist. Einen jungen Hund, der Begleiter für viele Jahre sein würde und den sie anschauen könnte, ohne an Ärzte, Medikamente und Leiden zu denken. Ein Welpe kam ins Haus und zum ersten Mal war es ein Haustier, kein Patient.
Ein halbes Jahr dauerte der Friede, dann klingelte es an einem Freitag an der Tür. Eine Amtsveterinärin der Stadt bat um Einlass und erklärte, das sei Routine – eine ganz normale Überprüfung der Hundehaltung, keine Ermittlung. Nachbarn hätten Sorgen geäußert, ob der Hund bei guter Gesundheit wäre, denn schließlich seien in den letzten Jahren bei der Mandantin so viele Tiere gestorben. Die Veterinärin war nett, strich ihr über den Arm, „machen Sie sich keine Sorgen, ich guck‘ nur mal“. Die Mandantin ließ sie herein.
In der Akte wird später stehen, dass eine vorbildliche Hundehaltung vorgefunden wurde. Blitzsauber, der Welpe bei bester Gesundheit, die Halterin offensichtlich ungewöhnlich sachkundig und mit alten Ausgaben der „Roten Liste“ ausgestattet, an der Wand hingen gleich zwei Schermaschinen für den jungen Pudel. Und es wird dort auch etwas stehen von „Gefahr im Verzug“ und einem Verdacht, der sich erhärtet habe.
Am Montag darauf klingelte es erneut bei der Mandantin. Die Amtsveterinärin war zurück und mit ihr zwei kräftige Kerle in Uniform. Der Welpe sei in Gefahr, wurde der Mandantin erklärt, und deshalb werde er nun mitgenommen. Die Mandantin, stocksteif vor Angst, konnte sich nicht wehren. Mit den fremden Menschen in Uniform ging auch ihr Hund. Auf das Einweisungsformular des Tierheims schrieb die Amtsveterinärin die vollen Personalien der Mandantin und dazu die Worte: „Verdacht Münchhausensyndrom“.
Es ist schwer, eine solche Akte zu lesen, ohne in Wut zu geraten. Zu lesen, wie aus einer anonymen Anzeige einer Nachbarin und der „Ermittlung“ einer Amtsveterinärin etwas entsteht, was später niemand mehr erklären kann. Weil die Mandantin sich so besonders gut mit Tieren auskennt, entstand der Verdacht, sie dichte den Tieren Krankheiten an, um sie anschließend behandeln zu können. Hatte man nicht mal gesehen, dass leere Einwegspritzen neben ihrem Mülleimer lagen? Welcher normale Mensch hat zwei Schermaschinen für seinen Hund? Auch der ehemaligen Ausbilderin meiner Mandantin, die ihr 18 Jahre zuvor Tiere, Medikamente und die ganze Praxis anvertraut hatte, fiel jetzt ein, sie sei immer schon etwas komisch gewesen. Und dann die beiden alten Ausgaben der „Roten Liste“. Hat jemand so etwas, wenn er nicht irgendwas Besorgniserregendes im Schilde führt?
Sie müssen sich das Weltbild einer solchen Veterinärbehörde vorstellen wie das eines Hammers: Überall sind Nägel. Statt zu prüfen und zu hinterfragen, wanderte der Hund ins Tierheim und wurde erst herausgegeben, nachdem die Mandantin auf Anraten ihrer damaligen Anwältin unterschrieb, ihn jede (!) Woche bei einer Ärztin vorzustellen und keine Tiere mehr zu halten, die das Amt nicht erlaubt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sogar das Rechtsamt der Kommune schon entsetzt gefordert, der Hund sei sofort und ohne Auflagen zurückzugeben, aber das wusste die Mandantin nicht.
Ich erzähle Ihnen diese Geschichte, weil diese Art von Willkür – denn das ist es – jedem passieren kann. Nicht jeder hat genug Atem und Widerstandskraft, sich trotz der Angst um das eigene Tier dann noch nachträglich gegen eine solche Behörde zu wehren. Die Mandantin hat es gewagt und bekommt nun Wiedergutmachung und Schadensersatz. Wehren lohnt sich. Aber es vertreibt nicht die Angst, wenn es plötzlich wieder an der Haustür klingelt.
Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 04/2016 der Dressur-Studien, die Sie hier erwerben können.