: : Jagdrecht und Waldumbau – ein komplexer Interessenkonflikt zwischen Wildtiermanagement und Ökosystemschutz

Ein Gesetz als Brennglas für alte Zielkonflikte

Mit der geplanten Reform des Landesjagdgesetzes in Rheinland-Pfalz wird ein ökologisches und politisches Spannungsfeld neu justiert: Wie viel Wild verträgt der Wald? Wer entscheidet darüber? Und was folgt, wenn diese Balance verloren geht? Das neue Gesetz zielt auf eine engere Verzahnung von Jagd und Forstwirtschaft ab – ausgelöst durch die dramatisch fortschreitende Schädigung der Wälder.

Die Landesregierung will den gesetzlichen Rahmen dafür schaffen, Wildbestände künftig stärker auf ihre Auswirkungen auf die natürliche Waldverjüngung abzustimmen. Dazu können Mindestabschüsse behördlich festgelegt werden, wenn sich in einem Gebiet erkennbar keine Naturverjüngung mehr durchsetzt. Das Gesetz ist damit nicht nur ein Eingriff in jagdliche Praxis, sondern Ausdruck eines Paradigmenwechsels: Jagd wird zunehmend als Steuerungsinstrument zur Stabilisierung von Ökosystemen verstanden – nicht nur als traditionelle Nutzung des Wildes.

Der forstliche Blick: Waldumbau als Überlebensfrage

Aus Sicht der Forstwirtschaft und des Naturschutzes ist die Novelle dringend notwendig. Der Zustand der Wälder in Rheinland-Pfalz ist weiterhin schlecht, wie die jüngsten Waldzustandsberichte zeigen. Klimatische Extreme, Schädlingsbefall und Bodenverarmung setzen vielen Baumarten zu. Eine zentrale Strategie lautet daher: Umbau hin zu standortgerechten, klimastabilen Mischwäldern.

Doch genau dieser Umbau wird durch zu hohe Schalenwildbestände behindert. Rehe und Hirsche bevorzugen junge Triebe, insbesondere von Laubbäumen wie Eiche, Ahorn oder Buche. In vielen Regionen wächst daher nur noch das, was nicht gefressen wird – etwa Fichte oder Brombeere.

Forstleute argumentieren, dass nur durch konsequente Reduktion der Wilddichte eine ökologische und wirtschaftliche Wiederherstellung der Wälder gelingen kann. Ohne natürliche Verjüngung drohen weitere Kosten für aufwändige Pflanzungen und Zäunungen – und letztlich der Verlust ganzer Waldfunktionen.

Die jagdliche Perspektive: Verantwortung ja, Pauschalverpflichtung nein

Die Jägerschaft kritisiert den Gesetzentwurf als unausgewogen. Sie befürchtet, dass der politische Fokus einseitig auf forstwirtschaftlichen Zielen liegt und die ökologische Rolle des Wildes aus dem Blick gerät.

Jagdpächter und Landesverbände verweisen darauf, dass Wild nicht nur Schaden, sondern auch Nutzen für das Ökosystem habe. Insbesondere Rot- und Rehwild hätten sich über Jahrhunderte an ihren Lebensraum angepasst. Zudem wehren sich viele Jäger gegen das Bild, bloße Erfüllungsgehilfen staatlich verordneter Abschusszahlen zu sein.

Kritisch gesehen wird auch, dass die praktischen Möglichkeiten zur Umsetzung solcher Vorgaben begrenzt seien: Jagdgebiete sind topografisch und strukturell sehr unterschiedlich, Wild reagiert sensibel auf Störungen, und rechtliche Grenzen (z.?B. Tierschutz, Schießzeiten, Sicherheit) setzen der Jagdausübung enge Rahmen.

Hinzu kommt, dass viele Reviere nicht hauptberuflich, sondern nebenberuflich oder ehrenamtlich geführt werden. Die Einführung behördlicher Mindestabschüsse wird daher auch als Überlastung interpretiert.

Der eigentliche Kern des Problems: Der Wald ist übernutzt – in vielerlei Hinsicht

Der Konflikt zwischen Forst und Jagd ist nicht neu. Doch durch den Klimawandel hat er eine neue Dringlichkeit bekommen. Die zentrale Frage lautet: Wie lassen sich Wildbestände steuern, ohne dabei das Wild selbst oder die Akteure der Jagd zu entwerten?

Das Problem ist vielschichtig. Die Wälder sind in großen Teilen keine intakten Ökosysteme mehr, sondern ökonomisch geprägte Produktionsräume. Gleichzeitig lebt dort Wild, dessen Lebensbedingungen durch Jagddruck, Flächenverbrauch, Straßenverkehr und Freizeitnutzung immer weiter eingeschränkt werden.

In einem instabilen Waldökosystem ist jede Steuerung des Wildbestands ein Balanceakt. Weniger Wild bedeutet nicht automatisch besseren Wald – es kommt auf die richtige Dichte an, angepasst an Standort, Struktur und Zielsetzung. Das ist nur über langfristige, regionalspezifische Jagdkonzepte zu erreichen – nicht über pauschale Abschusszahlen.

Gleichzeitig reicht es aber auch nicht, sich auf freiwillige Selbstregulierung zu verlassen. In vielen Revieren sind Wilddichten nachweislich zu hoch – oft, weil jagdliche Interessen, Ästhetik oder Trophäenwert die Reduktionsbereitschaft mindern.

Juristische und praktische Hürden bleiben

Auch wenn der Gesetzgeber nun Rahmenbedingungen setzt, bleibt die Umsetzung in der Fläche komplex. Wildzählungen sind fehleranfällig, die Abstimmung zwischen Verpächter und Pächter oft konfliktgeladen, und die Nachvollziehbarkeit von Maßnahmen für Außenstehende schwierig.

Behördlich angeordnete Mindestabschüsse werfen Fragen auf: Wie genau wird ein „erheblicher“ Schaden festgestellt? Was geschieht, wenn ein Revierpächter die Vorgaben nicht erfüllt – aus Überzeugung oder aus praktischer Unmöglichkeit? Drohen dann Ordnungswidrigkeiten, Pachtentzug oder öffentlich-rechtliche Ersatzmaßnahmen?

Diese Fragen sind derzeit nur teilweise geklärt. Die Rechtsfolgen bleiben im Entwurf vage, was für Unsicherheit auf Seiten der Jagdpraxis sorgt.

Ein Kompromiss, der keiner sein kann – aber einer sein muss

Politisch wird der Gesetzentwurf als Kompromiss verkauft – doch die Reaktionen zeigen, dass er von keiner Seite wirklich als solcher empfunden wird. Für die Jägerschaft ist das Gesetz zu forstlastig, für den Naturschutz zu zaghaft.

Dabei ist klar: Ohne abgestimmte Zusammenarbeit wird es nicht gehen. Jagd und Forstwirtschaft sind aufeinander angewiesen. Wer den Wald erhalten will, braucht eine realistische Steuerung des Wildbestands. Wer die Jagd stärken will, muss ihr eine ökologische Legitimation verschaffen.

Eine pauschale Bevorzugung der einen oder anderen Seite löst das strukturelle Problem nicht. Was es braucht, sind regionalspezifische, rechtsklare und ökologisch fundierte Konzepte, die von allen Beteiligten getragen werden – und eine staatliche Steuerung, die notfalls auch durchgreift, ohne die Akteure zu entmündigen.

Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie).

Hinweis: Dieser Beitrag stammt vom

Bitte beachten Sie:
Dieser Beitrag stellt keine Rechtsberatung, sondern meine persönliche Sicht und meine Meinung auf dieses Thema dar. Wenn Sie einen Fehler entdecken, bin ich für einen Hinweis dankbar. Die Rechtslage kann in Ihrem konkreten Fall anders sein, bitte lassen Sie sich im Zweifel beraten.
Bitte vereinbaren Sie zur Beratung einen Termin unter nilsbecker.de/telefontermin

In