Kastration bei Pferden: Ein weit verbreiteter Eingriff
Die Kastration männlicher Pferde ist in Deutschland ein gängiger Eingriff, der insbesondere aus Gründen der Haltungs- und Umgangstauglichkeit durchgeführt wird. Wallache gelten als leichter handelbar, gruppenverträglicher und stressresistenter im Alltag als Hengste. Vor allem im Freizeitbereich ist die Haltung eines Hengstes mit höheren Anforderungen verbunden, was Stallinfrastruktur, soziale Integration und Sicherheitsaspekte betrifft. Auch im Sportbereich – etwa im Vielseitigkeitsreiten – ist der kastrierte Hengst oft bevorzugt.
Rechtlicher Rahmen: Kein Routineeingriff ohne Beachtung des Tierschutzrechts
Die Kastration stellt einen Eingriff am Tier im Sinne des Tierschutzgesetzes dar und ist nur unter strengen Voraussetzungen zulässig. Maßgeblich ist dabei das sogenannte „Verbot der Amputation“ – also das grundsätzliche Verbot, Körperteile oder Organe eines Wirbeltiers zu entfernen oder dessen Erscheinungsbild dauerhaft zu verändern, soweit dies nicht im Einzelfall durch einen „vernünftigen Grund“ gerechtfertigt ist.
Ein solcher Grund liegt regelmäßig vor, wenn durch die Kastration eine artgerechte Haltung und Nutzung überhaupt erst ermöglicht oder erheblich erleichtert wird. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen eine Hengsthaltung aus tierschutzfachlicher, organisatorischer oder sicherheitstechnischer Sicht als problematisch anzusehen ist. Die Notwendigkeit der Kastration muss dabei im Einzelfall abgewogen werden. Eine flächendeckende Routineanwendung ohne individuelle Begründung wäre tierschutzrechtlich unzulässig.
Nur unter Betäubung und durch sachkundige Personen
Gemäß Tierschutzgesetz darf die Kastration ausschließlich unter wirksamer Betäubung und Schmerzbehandlung erfolgen. Sie ist grundsätzlich dem Tierarzt vorbehalten. Die Durchführung durch Nicht-Tierärzte ist nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen zulässig, die beim Pferd aber keine Anwendung finden.
Die Betäubung erfolgt in der Regel durch eine Kombination aus Sedierung und Injektions- oder Inhalationsnarkose, ergänzt durch eine Lokalanästhesie und postoperative Schmerztherapie. Die Einhaltung dieser Standards ist nicht nur aus tierschutzrechtlicher Sicht zwingend, sondern auch aus Gründen der Arbeitssicherheit und des Behandlungserfolgs unabdingbar.
Zeitpunkt und Nachsorge: Medizinisch und praktisch zu planen
Die Kastration erfolgt üblicherweise im Alter zwischen 1 und 3 Jahren, abhängig von Entwicklungsstand, Jahreszeit und Haltungsform. In der Praxis hat sich die Durchführung im Frühjahr oder Herbst bewährt, da extreme Temperaturen oder starke Insektenbelastung die Wundheilung erschweren.
Nach dem Eingriff ist eine sorgfältige Nachsorge essenziell: tägliche Bewegung zur Förderung des Lymphabflusses, Beobachtung auf Schwellungen oder Komplikationen, gegebenenfalls Reinigung der Wunde und tierärztliche Kontrolle. Fehler in der Nachsorge können zu schweren Komplikationen führen – von Infektionen bis zu lebensbedrohlichen Blutungen oder Darmvorfällen.
Verbot der Frühkastration und Hinweise zu tierschutzwidriger Praxis
In den Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten wird betont, dass Kastrationen aus rein organisatorischen oder wirtschaftlichen Gründen – etwa um Fohlenherden früher ohne Trennmaßnahmen führen zu können – tierschutzwidrig sind. Die Kastration darf weder zu früh erfolgen noch ohne individuellen Anlass, um etwaige Haltungsdefizite auszugleichen.
Unzulässig wäre auch eine Kastration ohne fachgerechte Betäubung oder durch Laien. Verstöße gegen diese Regelungen können nicht nur bußgeld- oder strafbewehrt sein, sondern auch zu Tierhalteverboten führen.
Dokumentationspflicht und Verantwortung des Halters
Der Tierhalter trägt die Verantwortung, dass die Kastration rechtmäßig durchgeführt wird. Dazu gehört die Auswahl eines qualifizierten Tierarztes, die Gewährleistung tierschutzgerechter Bedingungen vor, während und nach dem Eingriff sowie die Dokumentation – etwa durch Eintragung im Equidenpass und/oder in der Betriebsdokumentation gemäß Tiergesundheitsrecht.
Eine Kastration darf nicht ohne Wissen oder gegen den Willen des Eigentümers erfolgen. Bei Pensionshaltungen ist darauf zu achten, dass Halter und Eigentümer in Bezug auf den Eingriff einvernehmlich handeln und die rechtlichen Zuständigkeiten klar geregelt sind.
Fazit: Kastration ist zulässig, aber kein Automatismus
Die Kastration beim Pferd ist tierschutzrechtlich zulässig, wenn sie medizinisch notwendig oder durch einen vernünftigen Haltungszweck gerechtfertigt ist. Sie ist kein standardisierter Routineeingriff, sondern eine Maßnahme, die individuell zu begründen, sachkundig durchzuführen und sorgfältig nachzubehandeln ist. Missstände – etwa zu frühe oder nicht sachgerecht durchgeführte Kastrationen – sind tierschutzwidrig und können juristische Konsequenzen nach sich ziehen.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie). Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“