Kastration durch Behörden – rechtlicher Rahmen im Tierschutzgesetz
Das Tierschutzgesetz (TierSchG) bildet die rechtliche Grundlage für behördliche Maßnahmen zum Schutz des Wohls von Tieren. § 6 TierSchG verbietet Eingriffe zur dauerhaften Unfruchtbarmachung eines Tieres grundsätzlich, erlaubt sie jedoch unter bestimmten Voraussetzungen. Eine behördlich angeordnete Kastration ist nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TierSchG insbesondere dann zulässig, wenn sie zur Verhinderung einer Weiterzucht mit erblich bedingten, tierschutzrelevanten Merkmalen erforderlich ist.
Damit darf ein Veterinäramt eine Kastration anordnen, wenn die Zucht mit dem betroffenen Tier voraussichtlich zur Weitergabe von Merkmalen führen würde, die als Qualzucht einzustufen sind – etwa, weil sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für die Nachkommen verbunden wären.
Wann liegt eine Qualzucht vor?
Nach § 11b TierSchG ist es verboten, Wirbeltiere zu züchten, wenn durch züchterische Auswahl Merkmale gefördert werden, die mit Leiden, Schmerzen oder Schäden für das Tier verbunden sind. Diese Regelung betrifft nicht nur die bereits sichtbaren Qualzuchtmerkmale beim Elterntier, sondern auch die genetische Weitergabe an die Nachkommen.
Ob eine bestimmte Fellfarbe wie „dilute“ (Verdünnungsfarbe wie silber, blau oder lilac) als Qualzuchtmerkmal gilt, ist dabei nicht pauschal zu beantworten. Verdünnungsfarben an sich sind nicht krankhaft, jedoch können sie mit genetisch bedingten Erkrankungen wie der Color Dilution Alopecia (CDA) einhergehen. Bei dieser Erkrankung kommt es zu Haarausfall und Hautentzündungen – ein klar tierschutzrelevantes Problem.
Behördliche Praxis: Zwischen Einzelfallentscheidung und Pauschalmaßnahmen
Die Praxis der Veterinärämter ist derzeit uneinheitlich. Manche Behörden stützen sich auf Datenbanken wie die Qualzucht-Evidenzdatenbank (Quen), um Hinweise auf Qualzuchtmerkmale zu bewerten. Auch wenn solche Datenbanken keine Gesetzeskraft haben, dienen sie den Behörden oft als Entscheidungshilfe.
Dabei reicht nicht jede Auffälligkeit oder Genvariante aus, um eine Kastration zu rechtfertigen. Die Anordnung muss nachvollziehbar und auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Ein bloßer Verdacht oder eine allgemeine Abneigung gegenüber bestimmten Farbschlägen genügt nicht. Wird die Verfügung nicht mit einem individuellen Gutachten oder einer begründeten Gefahrenprognose versehen, kann sie rechtswidrig sein.
Unterscheidung zwischen „unerwünschter Farbe“ und genetischer Erkrankung
Ein häufiger Irrtum besteht darin, die genetische Fellfarbe selbst als Problem zu sehen. Die Farbe „silver“, „blue“ oder „lilac“ ist als solche weder qualzuchtbegründend noch krankhaft. Erst in Verbindung mit genetisch nachweisbaren Risiken für Erkrankungen (wie CDA) oder nachweisbaren Fällen solcher Erkrankungen in der Nachkommenschaft kann eine Zuchtvermeidung legitim sein.
Auch eine gezielte Verpaarung zweier Tiere mit bekanntem Risiko (z.?B. Merle x Merle, Dilute x Dilute) kann ein Indiz für züchterisches Fehlverhalten sein. In solchen Fällen kann die Behörde zusätzlich die Zuverlässigkeit des Halters oder Züchters in Zweifel ziehen, was wiederum eine Kastrationsauflage rechtfertigen kann.
Rechtsmittel gegen eine Kastrationsauflage
Eine Kastrationsauflage ist ein Verwaltungsakt. Betroffene haben das Recht, hiergegen Widerspruch einzulegen – sofern das jeweilige Bundesland nicht auf ein Vorverfahren verzichtet. In manchen Bundesländern muss direkt Klage erhoben werden.
Ein Widerspruch oder eine Klage sollte stets gut begründet und idealerweise anwaltlich begleitet werden. Dabei ist entscheidend, ob die Behörde die Voraussetzungen für die Annahme einer Qualzucht ausreichend dargelegt hat. Ein pauschaler Hinweis auf eine Farbe reicht nicht. Liegt hingegen eine genetische Diagnostik oder ein konkreter Krankheitsfall bei verwandten Tieren vor, sind die Erfolgsaussichten eher gering.
Genetische Diagnostik als Verteidigungsstrategie
Ein kluges Gegenmittel gegen pauschale Annahmen ist die genetische Untersuchung des betroffenen Tieres. Labore wie Laboklin oder Feragen bieten Testverfahren an, die Farb- und Krankheitsgene nachweisen können. Ein negativer Befund hinsichtlich krankheitsrelevanter Mutationen kann im Verfahren eine wichtige Rolle spielen.
Ist ein Tier genetisch zwar Träger einer bestimmten Farbe, aber frei von krankheitsauslösenden Genen, muss die Behörde erklären, warum dennoch eine tierschutzrelevante Weiterzucht anzunehmen ist. Oft gelingt dies nicht überzeugend, sodass eine Kastrationsauflage angreifbar wird.
Zuchtverbot oder Kastration – mildere Mittel beachten
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss die Behörde prüfen, ob statt einer Kastration ein milderes Mittel – etwa ein Zuchtverbot – ausreichen würde. Dies ist besonders dann relevant, wenn keine aktive Zuchtabsicht besteht oder das Tier ohnehin nicht zur Zucht verwendet werden soll.
Nur wenn zu befürchten ist, dass ohne Kastration eine Weiterzucht erfolgt – etwa wegen mangelnder Einsicht oder unzureichender Kontrolle – darf zur Kastration gegriffen werden. Diese Begründung muss die Behörde im Bescheid jedoch klar darlegen.
Fazit: Keine einfache Rechtslage – aber auch kein Freibrief für Behörden
Die Frage, ob eine Fellfarbe wie „dilute“ eine Kastrationsauflage rechtfertigt, hängt von vielen Faktoren ab. Entscheidend sind nicht Modeurteile oder Vorurteile gegenüber bestimmten Farben, sondern konkrete Hinweise auf genetisch bedingte Leiden.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld. Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“