: : Kleine Unternehmen und Solo-Selbständige im KI-Zeitalter: Herausforderungen der EU-KI-Verordnung

Die neue KI-Verordnung der Europäischen Union will Vertrauen schaffen und Innovation fördern. Für große Konzerne bedeutet das vor allem mehr Formalitäten, für kleine Firmen und Solo-Selbständige dagegen oft einen echten Kulturwandel. Sie müssen ihre kreativen Werkzeuge, Datenflüsse und Geschäftsprozesse plötzlich wie sicherheitskritische Technik behandeln – mit hohem Zeit- und Kostenaufwand. Gleichzeitig bleibt die Datenschutz-Grundverordnung voll anwendbar, sodass zwei anspruchsvolle Rechtsrahmen parallel einzuhalten sind. Wer das unterschätzt, riskiert hohe Bußgelder und Reputationsschäden.

Neue Compliance-Dimension durch Risikoklassifizierung

Die Verordnung teilt KI-Systeme in verschiedene Risikoklassen ein. Bereits „limitierte“ oder „geringe“ Risiken können Melde-, Kennzeichnungs- und Überwachungspflichten auslösen. Nutzt ein Ein-Personen-Studio zum Beispiel ein Sprachmodell, das Bewerbungen vorsortiert, rutscht es schnell in die Kategorie „hohes Risiko“. Dann greift ein ganzes Set verbindlicher Vorgaben – von strenger Daten-Governance bis zur menschlichen Letztkontrolle. Für Gründerinnen und Gründer bedeutet das: Jedes Tool muss zunächst klassifiziert werden, bevor es produktiv eingesetzt wird. Ohne strukturiertes Inventar ist das kaum zu schaffen.

Dokumentationspflichten: Vom Risikomanagement bis zur Registrierstelle

Hochriskante Systeme erfordern ein internes Qualitäts- und Risikomanagement, Protokolle über Trainingsdaten, Testberichte, Fehler-Logs und Nachweise über menschliche Aufsicht. Diese Unterlagen sind bis zu zehn Jahre aufzubewahren und jederzeit prüfbar. Kleine Betriebe besitzen weder Compliance-Abteilung noch Regulierungssoftware. Sie müssen dennoch Prüfpfade anlegen, Versionsstände sichern und Update-Prozesse definieren. Besonders belastend: Viele Anbieter generativer Modelle veröffentlichen keine vollständigen Trainingsinformationen. Wer die Modelle weitervertreibt oder wesentlich anpasst, trägt aber die Nachweispflicht.

Transparenz und Kennzeichnung generativer Systeme

Erzeugen KI-Werkzeuge Texte, Bilder oder Videos, muss künftig klar sein, dass der Inhalt maschinell erstellt wurde. Deepfakes, synthetische Stimmen oder personalisierte Werbetexte ohne Hinweis können Bußgelder nach sich ziehen. Selbständige Kreative, die mit Bildgeneratoren arbeiten, brauchen daher Routinen, um jedes Resultat korrekt zu kennzeichnen und Metadaten fälschungssicher zu hinterlegen. Auch der Einsatz automatisierter Chatbots in Onlineshops verlangt einen Hinweis auf die nicht-menschliche Natur des Gegenübers.

Synergien und Konflikte mit der DSGVO

Die KI-Verordnung verweist auf bewährte Datenschutz-Prinzipien wie Datenminimierung, Zweckbindung und Rechenschaftspflicht. Hochrisiko-Systeme müssen zusätzlich beweisen, dass Trainings- und Echtzeitdaten frei von Verzerrungen sind – praktisch ein dauerhaftes Datenschutz-Audit. Gleichzeitig schreibt die DSGVO für profilbildende oder automatisiert entscheidende Verfahren eine Datenschutz-Folgenabschätzung vor. Viele kleine Unternehmen stehen damit vor doppelter Berichtsarbeit: technische Dokumente für die KI-Behörden sowie Datenschutz-Analysen für die Aufsichtsstellen. Wer diese Prozesse integriert plant, spart Ressourcen; wer sie trennt, läuft in Widersprüche.

Finanzielle Belastung für kleine Unternehmen

Die formalen Anforderungen bedingen externe Beratung, Zertifizierungen und gegebenenfalls Konformitäts­bewertungen durch akkreditierte Stellen. Hinzu kommt das Risiko von Sanktionen, die sich pro Verstoß prozentual am Jahresumsatz orientieren. Für ein Start-up können selbst niedrige Millionenbeträge existenzbedrohend sein. Auch die interne Umsetzung kostet: Mitarbeitende müssen geschult, Verantwortlichkeiten definiert, Incident-Response-Pläne geschrieben werden. In Summe bindet Regulierungs-Compliance schnell ein Fünftel der verfügbaren Arbeitszeit, ohne dass direkt Umsatz entsteht.

Abhängigkeit von Drittanbietern und Open-Source

Viele Solo-Unternehmer setzen auf Cloud-Modelle oder Open-Source-Komponenten. Die Verordnung verpflichtet jedoch nicht nur Hersteller, sondern auch „Inverkehrbringer“ und „Betreiber“. Wer ein Open-Source-Modell feintunt und als Teil einer App vermarktet, wird plötzlich selbst Anbieter mit voller Haftung. Zugleich müssen Verträge mit Cloud-Providern klare Zusicherungen über Trainingsdaten, Bias-Tests und Support bei Audits enthalten. Fehlen solche Zusagen, bleibt das Haftungsrisiko allein beim kleinen Unternehmen hängen.

Praktische Schritte zur Vorbereitung

Erster Schritt ist ein KI-Register: Welche Modelle laufen wo, mit welchen Daten, für welchen Zweck? Zweitens sollte jedes System einer Risikoklasse zugeordnet werden. Drittens gilt es, kompakte Richtlinien zu entwickeln – etwa eine Prompt-Policy, ein Freigabe-Workflow für generierte Medien und ein Alarmplan bei Fehlentscheidungen. Parallel muss die Datenschutz-Folgenabschätzung angepasst und mit den neuen KI-Dokumenten verknüpft werden. Statt alles selbst zu schreiben, können Branchen­verbände Musterhandbücher bereitstellen. Entscheidendes Kriterium bleibt jedoch die gelebte Praxis: Verantwortliche müssen nachweisen, dass sie Risiken kontinuierlich überwachen und Maßnahmen anpassen.

Fazit: Compliance als Wettbewerbsvorteil

Die KI-Verordnung stellt kleine Firmen und Selbständige vor spürbare Hürden. Doch wer frühzeitig klare Prozesse etabliert, kann Vertrauen bei Kunden, Investoren und Behörden aufbauen. Transparente Datenflüsse, nachvollziehbare Entscheidungswege und saubere Dokumentation werden zum Qualitätsmerkmal. Damit wird Regulierung nicht nur Pflicht, sondern Chance, sich mit verantwortungsvollem KI-Einsatz vom Wettbewerb abzusetzen.

Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie). Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“

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