Maulkorb als tierschutzrechtliches Problem – keine reine Geschmackssache
Das dauerhafte Tragen eines Maulkorbs bei Hunden wirft tierschutzrechtlich relevante Fragen auf – insbesondere, wenn es um Maßnahmen im eigenen Haushalt geht. Auch wenn ein gut sitzender Maulkorb auf den ersten Blick harmlos erscheint, kann er unter bestimmten Umständen gegen das Tierschutzgesetz (TierSchG) verstoßen. Es gilt der Grundsatz: Die Haltung von Tieren muss ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechen. Das schließt ein, dass Tiere sich artgemäß verhalten können – etwa durch Hecheln, Spielen, Erkunden und Sozialkontakte.
Wenn Hunde in einer Gruppe regelmäßig Aggressionen zeigen, sind Halter verpflichtet, Gefahren für die Tiere selbst, für Dritte und auch für das aggressive Tier abzuwenden. Dabei stellt sich die Frage: Ist ein durchgängiges Tragen eines Maulkorbs tatsächlich das mildeste geeignete Mittel, um das Risiko von Beißvorfällen zu minimieren – oder wäre eine räumliche Trennung der Tiere im Haushalt die tierschutzfreundlichere Lösung?
Veterinärbehördliche Auflagen als Verwaltungsakt – rechtliche Einordnung
Amtstierärzte handeln nicht im rechtsfreien Raum. Ihre Anordnungen stützen sich regelmäßig auf § 16a TierSchG. Danach können sie gegenüber Tierhaltern Auflagen erteilen, um Missständen entgegenzuwirken. Die Behörde muss im Einzelfall prüfen, ob eine tierschutzwidrige Haltung vorliegt, und darf dann anordnen, was zur Abhilfe notwendig ist.
Ein solcher Verwaltungsakt bedarf keiner speziellen Regelung zum Maulkorbtragen. Es genügt, dass der Amtstierarzt im konkreten Fall zu der Überzeugung kommt, dass das dauerhafte Tragen eines Maulkorbs zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Wohls eines oder mehrerer Tiere führt – sei es durch Einschränkung des Sozialverhaltens, durch Stress oder durch physische Folgen wie Scheuerstellen oder Atemprobleme.
Keine generelle Rechtspflicht zur Zweitbegutachtung durch die Behörde
Ein häufiges Missverständnis in der Diskussion ist die Annahme, Tierhalter hätten automatisch einen Anspruch auf eine zweite amtsärztliche Beurteilung, wenn sie mit der ersten nicht einverstanden sind. Ein solcher Anspruch besteht nicht. Die Behörde muss zwar ihr Ermessen pflichtgemäß ausüben und den Sachverhalt ausreichend ermitteln (§ 24 VwVfG), ist aber nicht verpflichtet, eine Zweitmeinung einzuholen.
Ein Tierhalter kann allerdings eigene Gutachten vorlegen – etwa von Fachtierärzten für Verhalten oder von öffentlich bestellten Sachverständigen – und damit im Widerspruchsverfahren oder spätestens im Klageverfahren Zweifel an der behördlichen Einschätzung begründen. Ob die Behörde diese Argumente aufgreift, liegt zunächst in ihrem Ermessen. Das Verwaltungsgericht prüft dann aber, ob die behördliche Einschätzung nachvollziehbar und rechtmäßig war.
Rechtsschutz gegen tierärztliche Anordnungen – der Weg durch die Instanzen
Wer eine tierschutzrechtliche Anordnung des Veterinäramts für falsch hält, muss den Verwaltungsrechtsweg beschreiten. Das Verfahren beginnt mit einem Widerspruch (§ 68 VwGO), sofern das Bundesland das Widerspruchsverfahren nicht abgeschafft hat. In manchen Ländern (z.?B. Bayern) entfällt dieses und es ist direkt Klage zu erheben.
Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe eingelegt werden und kann – muss aber nicht – begründet werden. Eine sachkundige Begründung, idealerweise unter Vorlage tiermedizinischer Argumente oder Gutachten, erhöht jedoch die Chancen, dass die Behörde ihre Anordnung überdenkt.
Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, folgt die Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht. Ab diesem Zeitpunkt wird der Sachverhalt nicht nur rechtlich, sondern auch fachlich umfassend überprüft. Spätestens hier können gerichtliche Gutachten eingeholt werden, wenn die Tatsachengrundlage streitig ist.
Begründung von Maulkorbverboten durch das Tierschutzgesetz
Das TierSchG enthält keine spezifische Regelung zum Maulkorbtragen. Es kommt auf die Auslegung der Generalklauseln in § 2 TierSchG an. Dort heißt es, dass derjenige, der ein Tier hält, dieses so halten muss, dass seine artgemäßen Bedürfnisse nicht dauerhaft beeinträchtigt werden.
Ein Maulkorb kann tierschutzgerecht sein, wenn er gut sitzt, Hecheln und Trinken erlaubt und nur situationsbezogen getragen wird – etwa bei Spaziergängen oder im Kontakt mit fremden Hunden. Ein Dauereinsatz – etwa auch nachts und in Ruhephasen – kann dagegen eine dauerhafte Stresssituation erzeugen oder das Tier in seiner Lebensweise erheblich beeinträchtigen.
Diese Einschätzung ist keine reine Geschmackssache, sondern hängt vom Verhalten des Tieres, von seiner Gewöhnung an den Maulkorb, von körperlichen Reaktionen und vom Gesamtkontext der Haltung ab. Insofern ist die Bewertung durch den Amtstierarzt als fachliche Einschätzung zu verstehen, die jedoch nicht unangreifbar ist.
Alternativen zum Maulkorb – Anforderungen an den Halter
Ein häufiger Einwand von Haltern ist, dass der Maulkorb die einzige Möglichkeit sei, um Verletzungen zu verhindern. Diese Argumentation greift jedoch zu kurz. Der Amtstierarzt kann verlangen, dass Halter andere Maßnahmen ergreifen – etwa räumliche Trennung der Hunde, Anpassung der Gruppenhaltung, Verhaltenstherapie oder Maulkorbtraining mit begrenzter Einsatzzeit.
Die Maßgabe des Verwaltungsrechts lautet: Die Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Wenn es mildere Mittel gibt, die dasselbe Ziel erreichen – also etwa Trennung statt dauerhafter Maulkorb – muss der Halter diese auch umsetzen.
Zusammenfassung: Verwaltungsrealität und tierschutzrechtliche Maßstäbe
Das Tierschutzrecht erlaubt dem Amtstierarzt, tierschutzwidrige Zustände durch Anordnungen zu unterbinden. Ein durchgehendes Maulkorbtragen kann – muss aber nicht – gegen das TierSchG verstoßen, abhängig vom Einzelfall. Die Behörde hat hierbei einen Bewertungsspielraum, der jedoch durch den Verwaltungsrechtsweg überprüfbar ist.
Tierhalter sind gut beraten, bei Maßnahmen dieser Art rechtzeitig rechtlichen Rat einzuholen, qualifizierte Gutachten zu sichern und sachlich zu argumentieren. Emotional geführte Auseinandersetzungen in sozialen Netzwerken ersetzen nicht den strukturierten Rechtsweg. Wichtig ist, den Fokus auf das Tierwohl zu richten – und das beginnt mit der Suche nach der tierschutzverträglichsten Lösung.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld. Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“