Maulkorbbefreiung bei Hunden: Wann eine Ausnahme möglich ist
In vielen Bundesländern – so auch in Rheinland-Pfalz – unterliegen bestimmte Hunderassen, die als „gefährlich“ eingestuft werden, besonderen Auflagen. Dazu gehört in der Regel auch das Tragen eines Maulkorbs in der Öffentlichkeit. Das Landeshundegesetz Rheinland-Pfalz (LHundG RP) sieht jedoch unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit vor, eine Befreiung von dieser Pflicht zu erteilen. Grundlage ist § 5 Abs. 5 Satz 2 LHundG RP: Danach kann die zuständige Behörde eine Befreiung aussprechen, wenn die Halterin oder der Halter die notwendige Sachkunde nachgewiesen hat und keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu befürchten ist.
Der Begriff „kann“ macht deutlich: Es handelt sich nicht um einen Anspruch, sondern um eine Ermessensentscheidung der Behörde. Die Erfüllung aller Voraussetzungen bedeutet also nicht automatisch, dass auch eine Befreiung gewährt werden muss.
Ermessensausübung: Rechtlich gebunden oder frei?
Das Ermessen der Behörde ist kein Freibrief. Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, ihr Ermessen rechtsfehlerfrei auszuüben. Das bedeutet: Die Entscheidung muss sachlich begründet, verhältnismäßig und nachvollziehbar sein. Ein Verwaltungsakt, der auf einer Ermessensausübung beruht, ist gerichtlich überprüfbar – allerdings nur daraufhin, ob das Ermessen korrekt ausgeübt wurde.
Dazu zählt:
– Wurden alle relevanten Umstände vollständig und zutreffend berücksichtigt?
– Hat die Behörde bei der Abwägung sachfremde Erwägungen angestellt?
– Wurde das gesetzlich eingeräumte Ermessen überhaupt wahrgenommen (Ermessensnichtgebrauch)?
– Wurde der gesetzliche Rahmen überschritten (Ermessensüberschreitung)?
Insbesondere bei Halterinnen und Haltern, die durch zusätzliche Qualifikationen wie eine erweiterte Sachkunde, einen Trainerschein oder dokumentierte gewaltfreie Erziehungsmethoden auffallen, ist zu prüfen, ob die Verwaltung diese Aspekte angemessen in ihre Bewertung einbezogen hat.
Was in die Entscheidung einfließen muss
Die Verwaltungsvorschrift zu § 5 Abs. 5 LHundG RP konkretisiert, welche Anforderungen für eine Maulkorbbefreiung zu erfüllen sind. Neben dem Nachweis der allgemeinen Sachkunde kann eine Befreiung insbesondere dann in Betracht kommen, wenn das Tier keine Auffälligkeiten zeigt, ein zuverlässiger Leinengehorsam besteht und keine Anhaltspunkte für ein gesteigertes Aggressionspotenzial vorliegen.
Die Vorschrift weist darauf hin, dass die Verwaltung positive Prognosen treffen darf, wenn das Tier über einen längeren Zeitraum keine Gefahr dargestellt hat und regelmäßig professionell trainiert wurde. Es wird auch betont, dass weitere Nachweise wie Wesenstests, tierärztliche Stellungnahmen oder Schulungsnachweise von sachverständigen Hundetrainerinnen und ?trainern zu berücksichtigen sind.
Wichtig: Die Vorschrift entfaltet keine unmittelbare Rechtswirkung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern, sondern bindet lediglich die Verwaltung intern. Dennoch kann ein Verstoß gegen die Richtlinien in gerichtlichen Verfahren als Indiz für eine fehlerhafte Ermessensausübung gewertet werden.
Widerspruch und Klage: So läuft das Verfahren
Lehnt die Behörde die beantragte Maulkorbbefreiung ab, so ist in der Regel der Rechtsweg eröffnet. Die Betroffenen können zunächst Widerspruch gegen den Bescheid einlegen. Wird der Widerspruch zurückgewiesen, steht der Weg zur Klage vor dem Verwaltungsgericht offen.
Im gerichtlichen Verfahren wird nicht neu über das Ob der Befreiung entschieden. Das Gericht prüft vielmehr, ob die Verwaltungsentscheidung ermessensfehlerfrei getroffen wurde. Ein Erfolg ist möglich, wenn die Behörde wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt oder ihr Ermessen nicht oder falsch ausgeübt hat.
Praxistipp: Es ist hilfreich, mit dem Antrag auf Maulkorbbefreiung gleich eine umfangreiche Dokumentation beizufügen – etwa ein aktuelles polizeiliches Führungszeugnis der Halterperson, Bestätigungen über absolvierte Schulungen, regelmäßige Trainingsprotokolle sowie ein tierärztliches Attest zum Wesen des Hundes.
Oft unterschätzt: Bedeutung der individuellen Hund-Halter-Beziehung
Gerade bei sogenannten Listenhunden kommt der individuellen Bindung zwischen Mensch und Tier eine große Bedeutung zu. Studien belegen, dass der Erziehungsstil, die Alltagssituation und die Regelmäßigkeit des Trainings deutlich stärker auf das Verhalten des Hundes einwirken als die bloße Rassezugehörigkeit.
Die Verwaltung hat diesen Gesichtspunkt ebenfalls zu würdigen – gerade wenn er durch Dokumente und Referenzen belegt werden kann. Ein professionell geschulter Halter oder eine langjährige Trainerin, die mit deeskalierenden, gewaltfreien Methoden arbeitet, kann im Einzelfall auch bei einem Hund aus der Liste eine positive Gefahrenprognose rechtfertigen.
Fazit: Rechtliche Optionen nutzen und fundiert argumentieren
Auch wenn die Entscheidung über eine Maulkorbbefreiung im Ermessen der Behörde liegt, ist sie keineswegs willkürlich. Die rechtlichen Anforderungen an eine sachgerechte Ermessensausübung sind hoch. Wer sich gegen eine Ablehnung wehren will, sollte nicht nur rechtlich fundiert argumentieren, sondern auch eine saubere Dokumentation vorlegen, die den besonderen Einzelfall überzeugend darstellt.
Ein anwaltlicher Beistand mit Erfahrung im Tierrecht oder Verwaltungsrecht ist hierbei von Vorteil. Er kann nicht nur die Erfolgsaussichten einer Klage realistisch einschätzen, sondern auch den Dialog mit der Behörde auf eine sachlich fundierte Ebene lenken. So lassen sich viele Fälle bereits im Widerspruchsverfahren klären – ohne Gerichtsprozess.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld. Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“