Tierarztvorbehalt für Humanhomöopathika im TAMG verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 29.09.2022 den Tierarztvorbehalt für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren für verfassungswidrig erklärt. Die Regelung in § 50 Abs. 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Tierarzneimitteln und zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Tierarzneimittel vom 27. September 2021 (Tierarzneimittelgesetz – TAMG) verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und ist deshalb nichtig. Damit sind zwei Verfassungsbeschwerden gegen die Regelung, eines davon betreut von meinen Kollegen Rechtsanwältin Daniela Müller und Dr. Oliver Herrmann, erfolgreich.

Nach der bis zum 27. Januar 2022 geltenden Rechtslage war Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, die Anwendung jeglicher nicht verschreibungspflichtiger Humanarzneimittel bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, vorbehaltlos gestattet. Seit dem 28. Januar 2022 stellt § 50 Abs. 2 TAMG dies unter den Vorbehalt, dass die Arzneimittel von einer Tierärztin oder einem Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden sind, und dass die Anwendung gemäß einer tierärztlichen Behandlungsanweisung erfolgt. Dieser so genannte Tierarztvorbehalt umfasst daher unter anderem die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger, hochpotenzierter Humanarzneimittel bei Tieren.

Gegen diese Regel wendeten sich die Verfassungsbeschwerden von zwei Tierheilpraktikerinnen, die eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG geltend machten. Darüber hinaus sahen sie eine Beschwerdeführerin auch als Tierhalterin in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Das Bundesverfassungsgericht gab dem in beiden Punkten Recht.

Das Gericht stellt in seinem Beschluß fest, dass der Tierarztvorbehalt im Ergebnis in unzulässiger Weise über den eigentlichen Gesetzeszwecks, nämlich die Anpassung der deutschen Gesetzgebung an unionsrechtliche Vorgaben, hinaus gehe. Der für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika angeordnete Tierarztvorbehalt sei zur Erreichung des Gesetzeszwecks im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet und erforderlich. Er sei jedoch nicht verhältnismäßig im engeren Sinne.

Dass mit einer Heilbehandlung durch Tierheilpraktiker und Tierhomöopathen gewisse Gefahren für den Tierschutz und die Gesundheit von Tier und Mensch einhergehen, weil nicht approbierte Personen nicht die gleiche Gewähr für eine hohe Qualität von Diagnostik und Therapie bieten können wie ein Tierarzt, hat das Bundesverfassungsericht durchaus anerkannt. Es ordnet aber ein, dass dies keine Besonderheit der Anwendung von Humanhomöopathika bei Tieren sei, sondern ebenso zum Beispiel für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Tierarzneimittel (etwa Tierhomöopathika) oder alternativer Heilmethoden (etwa Pflanzenheilkunde) gilt, die vom Gesetzgeber weder im Tierarzneimittelgesetz noch an anderer Stelle unter einen Tierarztvorbehalt gestellt worden sind. Damit nehme der Gesetzgeber dort die Gefahr von Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen und das Risiko, dass auf Menschen übertragbare Infektionskrankheiten unerkannt bleiben können oder falsch behandelt werden, hin.

Die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes sowie einer Schädigung der Gesundheit von Tier und Mensch kann aber laut Bundesverfassungsgericht auch dadurch weiter gemindert werden, dass die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren durch nichtärztliche Personen zumindest vom Nachweis solcher Kenntnisse abhängig gemacht werden, die dazu befähigen einzuschätzen, inwieweit die Zuziehung eines Tierarztes oder die Verweisung an einen Tierarzt erforderlich ist. Wie eine solche Regelung konkret aussehen könnte, geht aus dem Beschluß nicht hervor.

Vor diesem Hintergrund erscheint dem Bundesverfassungsgericht jedenfalls der Tierarztvorbehalt für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika zur Sicherung der Qualität von Diagnostik und Therapie im Ergebnis nicht mehr angemessen. Die als nicht sehr groß einzuschätzenden Gefahren könnten durch die Einführung einer Pflicht zum Nachweis theoretischer Kenntnisse in der Tierheilkunde weiter vermindert werden. Dies dürfte auch die Position der Fortbildungsinstitute, wie beispielsweise der Akademie für Tiernatur­heilkunde und Tierphysiotherapie (ATM), stärken.

Im Ergebnis sieht das Bundesverfassungsgericht daher durch die aktuelle Regelung in § 50 Abs. 2 TAMG einen schwerwiegender Eingriff in die Berufsfreiheit, denn Tierheilpraktikerinnen und Tierheilpraktikern, deren Tätigkeit sich im Wesentlichen auf Behandlungen im Wege der klassischen Homöopathie beschränkt, bleibe mit Einführung des Tierarztvorbehalts im hier angegriffenem Umfang kaum mehr Raum zur beruflichen Betätigung. Das Maß der Belastung der Grundrechtsträger steht daher nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis zu den dem gemeinen Wohl erwachsenden Vorteilen. Eben dies war ein wichtiges Argument der Verfassungsbeschwerden.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch entschieden, dass § 50 Abs. 2 TAMG darüber hinaus auch unverhältnismäßig in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) von Tierhaltern eingreift und nicht gerechtfertigt sei. Der Tierarztvorbehalt diene zwar, auch soweit Tierhalterinnen und Tierhalter von ihm betroffen sind, dem legitimen Zweck der Sicherung der Qualität von Diagnostik und Therapie. Er sei aber ebenfalls nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinne.

Zwar sei das Eingriffsgewicht der Regelung zunächst geringer, denn Tierhalterinnen und Tierhalter müssen weder eine ihren Lebensunterhalt sichernde Tätigkeit aufgeben noch sich insoweit beruflich neu orientieren. Demgegenüber seien aber die Sicherungen insbesondere des Tierschutzgesetzes, die jedenfalls in schwerer wiegenden Fällen die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes und der Schädigung der Gesundheit von Tier und Mensch mindern, für Tierhalterinnen und Tierhalter ungleich stärker.

Beschluss vom 29. September 2022 – 1 BvR 2380/21, 1 BvR 2449/21

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