: : Tierkrankenversicherung kündigt nach teurem Schadenfall – was rechtlich gilt

Tierkrankenversicherung: Vertragsfreiheit mit Grenzen

Die Tierkrankenversicherung erfreut sich wachsender Beliebtheit, insbesondere seit die Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) angehoben wurde. Doch viele Tierhalter erleben eine böse Überraschung, wenn nach einer teuren Behandlung plötzlich die Kündigung durch den Versicherer erfolgt. Dies wirft zentrale Fragen zur rechtlichen Zulässigkeit solcher Kündigungen, zu Leistungspflichten bei Folgeschäden und zur Rolle medizinischer Prognosen auf.

Grundsätzlich gilt: Tierkrankenversicherer sind private Versicherungsunternehmen und dürfen Verträge unter Einhaltung der gesetzlichen und vertraglichen Kündigungsfristen beenden. Die Kündigung nach einem Schadenfall ist ausdrücklich zulässig – aber an klare Fristen und Bedingungen gebunden. Diese sogenannten „Schadenfallkündigungen“ dürfen nur innerhalb eines Monats nach Abschluss der Schadensbearbeitung erfolgen, nicht beliebig lange danach.

Die Schadenfallkündigung und ihre Fristen

Gemäß § 92 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) kann ein Versicherer nach einem regulierten Schadenfall das Versicherungsverhältnis mit Monatsfrist kündigen. Dabei beginnt die Frist mit Abschluss der Schadenbearbeitung, also in der Regel mit Zugang des Leistungsbescheids. Die Kündigung muss rechtzeitig ausgesprochen und klar formuliert sein.

Wird diese Frist versäumt, bleibt nur die ordentliche Kündigung zum Ende der Versicherungsperiode. Diese ist zwar grundsätzlich zulässig, schützt den Versicherten aber vor plötzlichem Versicherungsausfall, da sie meist mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ablauf des Versicherungsjahres verbunden ist. Während dieser Zeit bleibt der volle Versicherungsschutz bestehen – auch für bekannte oder geplante Behandlungen, sofern sie unter die versicherten Leistungen fallen.

Die Frage eines „laufenden Versicherungsfalls“

Versicherungsrechtlich ist jede neue Erkrankung, Operation oder Behandlung in der Regel ein eigener Versicherungsfall – auch wenn sie mit einer früheren Diagnose in Zusammenhang steht. Entscheidend ist, ob ein neues Schadenereignis vorliegt oder ob es sich um unmittelbare Folgekosten des ursprünglich gemeldeten Falls handelt.

Bei Krankheiten wie Hüftdysplasie (HD), die beidseitig auftreten, stellt sich daher die Frage: War bei Diagnosestellung bereits die Notwendigkeit beider Operationen medizinisch begründet und dokumentiert? Falls ja, könnte argumentiert werden, dass es sich um einen einheitlichen Versicherungsfall handelt – insbesondere dann, wenn die zweite Operation medizinisch nur zeitlich gestaffelt, aber von Beginn an angeraten war.

Die Praxis der Versicherer ist allerdings oft restriktiver. Häufig wird jede OP als eigenständiger Fall gewertet, solange sie nicht als unmittelbare Folge der ersten medizinisch notwendig und unaufschiebbar war. Ob dem im Einzelfall so ist, muss medizinisch und juristisch genau geprüft werden.

„Verzicht auf künftige Leistungen“ gegen Fortbestand des Vertrags?

In manchen Fällen bieten Versicherer einen Fortbestand des Vertrags unter der Bedingung an, dass der Versicherte bestimmte Leistungen künftig ausschließt – etwa alle Behandlungen eines bekannten Leidens. Rechtlich handelt es sich dabei um eine sogenannte Vertragsänderung. Diese ist zwar grundsätzlich möglich, setzt aber eine freiwillige und informierte Zustimmung des Versicherungsnehmers voraus.

Kritisch wird es, wenn solche Vertragsänderungen unter Druck oder durch Androhung einer Kündigung erzwungen werden. Zwar darf ein Versicherer frei entscheiden, ob er einen Vertrag kündigt oder fortführt. Doch wenn die Kündigung nur unter der Bedingung unterbleibt, dass der Versicherungsnehmer auf ihm zustehende Leistungen verzichtet, kann dies als unzulässige Benachteiligung angesehen werden – insbesondere dann, wenn die zweite OP bereits medizinisch begründet und im Versicherungsschutz umfasst ist.

Verletzung von Treu und Glauben durch selektive Leistungsausschlüsse?

Auch wenn Vertragsfreiheit herrscht: Versicherer unterliegen den Grundsätzen von Treu und Glauben. Wer dem Versicherungsnehmer eine Fortsetzung des Vertrags nur gegen Leistungsausschluss eines konkret bevorstehenden Eingriffs anbietet, könnte sich diesem Grundsatz entziehen. Denn wenn die Versicherung den Eingriff als medizinisch notwendig anerkennt, aus dem gleichen Krankheitsbild resultierend, und bereits eine Operation übernommen wurde, spricht vieles dafür, dass auch die zweite OP vom ursprünglichen Versicherungsfall umfasst ist.

Ob ein Versicherer in einem solchen Fall durch einseitige Vertragsgestaltung seine Leistungspflicht unterläuft, ist juristisch streitig und hängt stark vom Einzelfall ab. Gerade bei beidseitigen Erkrankungen, bei denen der medizinische Fahrplan eine gestaffelte Versorgung vorsieht, kann eine versicherungsrechtliche Einheitlichkeit des Falles argumentiert werden.

Risiken eines Versicherungswechsels nach Diagnose

Wird der bestehende Vertrag gekündigt – sei es vom Versicherer oder vom Versicherungsnehmer selbst – steht eine Anschlussversicherung an. Doch hier lauert die nächste Hürde: Praktisch alle Versicherer schließen bei Neuanträgen bekannte Erkrankungen aus. Auch Nachwirkungen einer durchgeführten Operation, wie Komplikationen, Revisions-OPs oder Folgeschäden, können dann vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sein.

Ein Versicherungswechsel schützt also nicht vor Leistungslücken, sondern birgt sogar die Gefahr, dass ein Tierhalter künftig alle weiteren Kosten selbst tragen muss. Je nach Schwere der Grunderkrankung kann das finanzielle Risiko erheblich sein.

Handlungsmöglichkeiten für Versicherte

Wer eine vergleichbare Konstellation erlebt, sollte schnell handeln:
1. Kündigungsfrist prüfen – Ist die Schadenfallkündigung noch fristgerecht oder bereits verfristet?
2. Leistungspflicht sichern – Ist die zweite OP eine unmittelbare Folge der ersten und medizinisch begründet dokumentiert?
3. Nicht voreilig zustimmen – Vertragsänderungen, insbesondere Leistungsausschlüsse, sollten nie ohne fachliche Prüfung akzeptiert werden.
4. Anwaltliche Beratung einholen – Eine auf Versicherungsrecht spezialisierte Kanzlei kann einschätzen, ob Ansprüche bestehen und wie sie durchgesetzt werden können.
5. Zeitplan anpassen – Kann der OP-Termin im Zweifel vorverlegt werden, um sicher im aktuellen Versicherungsschutz zu bleiben?

Fazit: Kündigungsrecht versus Leistungspflicht

Versicherer dürfen Tierkrankenversicherungen kündigen – aber nicht willkürlich und schon gar nicht unter Umgehung berechtigter Leistungsansprüche. Wer als Tierhalter rechtzeitig reagiert, seine Rechte kennt und sich fachlich beraten lässt, kann verhindern, dass aus einer zugesagten Vollabsicherung plötzlich ein teurer Selbstzahlerfall wird.

Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld. Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“

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