Ein häufiger Konfliktpunkt zwischen privaten Pferdehaltern und dem Veterinäramt ist die Missachtung der gesetzlichen Mindestanforderungen an Bewegungsfreiheit und Flächenmaß. Viele Halter unterschätzen, dass Pferde unter natürlichen Bedingungen bis zu 16 Stunden täglich in langsamem Schritt unterwegs sind. Daraus leitet sich ein Bedarf an mehrstündiger täglicher freier Bewegung ab. Reine Boxenhaltung ohne adäquaten Auslauf gilt daher als tierschutzwidrig, wenn nicht durch Auslauf oder Weidegang ausgeglichen. Auch Stallmaße – etwa Boxengrößen – werden häufig nicht eingehalten. Selbst kleinere Unterschreitungen können durch das Veterinäramt beanstandet werden, wenn sie das Wohlbefinden des Tieres beeinträchtigen.
Unzureichende soziale Kontakte und Einzelhaltung
Pferde sind Herdentiere mit ausgeprägtem Sozialverhalten. Einzelhaltung ohne Sicht?, Hör? oder Geruchskontakt zu Artgenossen widerspricht ihrem natürlichen Bedürfnis und führt zu Verhaltensauffälligkeiten wie Koppen, Weben oder Aggression. Halter unterschätzen oft, dass auch temporäre Isolation – etwa bei Umbauten oder Krankheit – mit dem Veterinäramt abgestimmt werden muss. Besonders bei Fohlen und Jungpferden ist Gruppenhaltung aus ethologischer Sicht zwingend.
Mängel bei der Fütterung und Wasserversorgung
Die meisten Halter wissen um die Bedeutung von Heu, unterschätzen aber die Anforderungen an Fressplatzverhältnisse, Fütterungszeiten und Wasserverfügbarkeit. Tierschutzkonform ist, dass Pferde nicht länger als vier Stunden ohne rohfaserreiches Futter sein dürfen. Die ungleiche Verteilung von Futter bei Gruppenhaltung – etwa durch zu wenig Fressplätze – kann zu Verdrängung rangniedriger Tiere führen und stellt ein häufiges Beanstandungsthema dar. Automatische Tränken müssen täglich auf Funktion geprüft werden, was in der Praxis oft unterbleibt.
Gefährdung durch bauliche Mängel
Unzureichend gesicherte Futterraufen, schadhafte Zäune, rutschige Böden oder zu niedrige Türhöhen sind typische Mängel, die das Veterinäramt rügt. Besonders kritisch sind spitze Winkel, zu enge Durchgänge oder gefährliche Spaltmaße an Metallbauteilen, in denen sich Pferde verletzen können. Halter unterschätzen oft, dass auch geneigte Flächen oder ungeeignete Materialien wie Stacheldraht oder Knotengitter als tierschutzwidrig gelten.
Verstöße gegen Kennzeichnungs- und Dokumentationspflichten
Konflikte entstehen auch, wenn Pferde nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet oder registriert sind. Viele Halter sind sich der Pflicht zur Meldung bei der Tierseuchenkasse oder zur Aktualisierung von Daten im Equidenpass nicht bewusst. Auch die fehlerhafte oder verspätete Kennzeichnung von Fohlen (Transponder) ist ein häufiger Anlass für Beanstandungen. Dabei ist die Verantwortung für korrekte Papiere stets dem Halter zuzuordnen – unabhängig davon, ob er Eigentümer ist.
Fehlende Sachkunde und Missverständnisse im Management
Ein Grundkonflikt liegt in der fehlenden Sachkunde mancher privater Halter. Das Tierschutzgesetz verlangt ausdrücklich Kenntnisse und Fähigkeiten zur artgerechten Pflege und Haltung. Unwissenheit schützt nicht vor Auflagen oder Anordnungen. Insbesondere bei nicht-landwirtschaftlichen Haltern fehlt oft das Bewusstsein für betriebliche Dokumentationspflichten, Entwurmungsstrategien oder Impfempfehlungen. Auch gut gemeinte, aber unsachgemäße Maßnahmen – wie das unnötige Eindecken gesunder Pferde – können vom Amt beanstandet werden.
Haltungsformen mit erhöhtem Konfliktpotenzial
Spezielle Konfliktlagen entstehen bei Offenställen, wenn diese nicht ausreichend befestigte, morastfreie Bereiche bieten oder bei Gruppenhaltungen mit zu geringer Liegefläche pro Tier. Auch Pferdehaltung in Naturschutzprojekten oder Hobbyhaltungen mit geringen Ressourcen geraten häufiger ins Visier, wenn grundlegende Anforderungen wie tägliche Sichtkontrollen oder tierärztliche Versorgung nicht gesichert sind.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie). Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“