Fehlende Widerrufsbelehrung – die rechtlichen Folgen für Unternehmer
Handwerkerverträge, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, unterliegen strengen verbraucherschützenden Vorschriften. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Vorschriften ist die Pflicht des Unternehmers, den Verbraucher umfassend über sein gesetzliches Widerrufsrecht zu belehren. Geschieht dies nicht oder nicht ordnungsgemäß, verlängert sich die Widerrufsfrist automatisch um bis zu ein Jahr. Das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Mai 2023 macht deutlich: Versäumt der Unternehmer diese Information und widerruft der Verbraucher, entfällt für letzteren jegliche Zahlungspflicht, selbst wenn die vereinbarte Leistung vollständig erbracht wurde.
Was bedeutet das EuGH-Urteil konkret?
In dem Fall, der dem Urteil zugrunde liegt, hatte ein Verbraucher mit einem Unternehmen einen Vertrag über Elektroinstallationsarbeiten außerhalb der Geschäftsräume geschlossen. Nachdem die Arbeiten erledigt waren, wurde der Verbraucher zur Zahlung aufgefordert. Dieser verweigerte die Zahlung und erklärte stattdessen den Widerruf des Vertrages mit der Begründung, er sei nicht über sein Widerrufsrecht informiert worden. Die Folge: Laut Urteil des EuGH ist der Verbraucher tatsächlich nicht zur Zahlung verpflichtet, da er nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Ein Anspruch des Unternehmers auf Ersatz für die bereits erbrachten Leistungen besteht ausdrücklich nicht.
Praktische Auswirkungen auf Unternehmer und Handwerker
Dieses Urteil hat weitreichende Konsequenzen für Unternehmer und Handwerksbetriebe, die Verträge außerhalb ihrer Geschäftsräume schließen. Gerade in Branchen wie dem Handwerk oder bei anderen Dienstleistungen vor Ort – beispielsweise Reparaturen oder Sanierungen – ist diese Form des Vertragsschlusses alltäglich. Unternehmer müssen nun dringend prüfen, ob sie Verbraucher stets korrekt über deren Widerrufsrecht informieren. Andernfalls besteht das Risiko, dass sie selbst bei vollständig erbrachten Leistungen keinen Anspruch auf Vergütung haben. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die erbrachte Arbeit mängelfrei oder vom Kunden akzeptiert wurde.
Ungerechtfertigte Bereicherung durch den Verbraucher?
Interessant an diesem Urteil ist auch die Frage, ob Verbraucher in solchen Fällen nicht ungerechtfertigt bereichert werden. Schließlich erhält der Verbraucher eine vollständige Leistung, ohne dafür zahlen zu müssen. Das Gericht erkennt zwar, dass in solchen Konstellationen faktisch ein Vermögenszuwachs beim Verbraucher entsteht. Es hebt jedoch hervor, dass der Grundsatz des hohen Verbraucherschutzes Vorrang vor dem Verbot ungerechtfertigter Bereicherung genießt. Der Unternehmer trägt hier das volle Risiko, wenn er seiner Informationspflicht nicht nachkommt.
Praktische Schwierigkeiten und Herausforderungen bei der Umsetzung
Die konsequente Anwendung dieser Regelung ist in der Praxis jedoch nicht unproblematisch. Unternehmer stehen vor erheblichen Schwierigkeiten, da selbst kleine Fehler bei der Widerrufsbelehrung zu massiven finanziellen Einbußen führen können. Insbesondere kleinere Handwerksbetriebe könnten hier schnell in finanzielle Schieflage geraten, wenn Verbraucher nachträglich von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen. Zudem besteht ein erhebliches Missbrauchspotenzial durch Verbraucher, die diese Regelung gezielt ausnutzen könnten.
Ein weiteres praktisches Problem ist die Beweisbarkeit: Unternehmer müssen im Zweifelsfall nachweisen, dass sie den Verbraucher rechtzeitig und ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht informiert haben. Gerade bei mündlichen Verträgen oder unzureichend dokumentierten Belehrungen wird es häufig schwierig sein, diesen Nachweis zu führen. In Streitfällen können diese Nachweisschwierigkeiten zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen führen.
Wie können Unternehmer vorbeugen?
Unternehmer sollten daher unbedingt darauf achten, dass sie Verbrauchern eine schriftliche und vor allem nachweisbare Widerrufsbelehrung zukommen lassen. Idealerweise lassen sie sich den Erhalt der Belehrung schriftlich bestätigen. Auch bei dringenden Reparaturen oder spontanen Einsätzen vor Ort sollte der Unternehmer dafür sorgen, dass die Belehrung eindeutig und dokumentierbar erfolgt. Nur so lassen sich finanzielle Risiken und Streitigkeiten von vornherein minimieren.
Rechtsanwaltliche Beratung bei Zweifelsfragen unabdingbar
Aufgrund der erheblichen Risiken und der komplizierten Rechtslage ist es ratsam, sich bei Unsicherheiten frühzeitig anwaltlich beraten zu lassen. Gerade dann, wenn bereits Zweifel bestehen, ob die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß erfolgt ist, sollte ein spezialisierter Rechtsanwalt hinzugezogen werden. Dieser kann nicht nur die formale Korrektheit der Belehrung sicherstellen, sondern auch beratend tätig werden, wenn Verbraucher den Vertrag bereits widerrufen haben oder dies drohen.
Im Falle eines Streits um die Frage, ob ein Widerruf rechtmäßig erfolgt ist oder ob dem Verbraucher die Zahlungspflicht entfällt, ist es ebenfalls unerlässlich, sofort anwaltlichen Rat einzuholen. Ein spezialisierter Rechtsanwalt wird zunächst sorgfältig prüfen, ob überhaupt ein wirksames Widerrufsrecht besteht, und klären, welche konkreten Maßnahmen der Unternehmer jetzt ergreifen kann. Oftmals ist es trotz des harten EuGH-Urteils möglich, durch frühzeitige Intervention zumindest Teile der Kosten zu retten oder eine für beide Seiten vertretbare Einigung zu erzielen.
Fazit: Umfassender Verbraucherschutz – Unternehmer müssen wachsam sein
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs stärkt den Verbraucherschutz deutlich, bringt aber erhebliche Risiken für Unternehmer mit sich. Es verdeutlicht erneut die Wichtigkeit korrekter, nachweisbarer und rechtzeitiger Widerrufsbelehrungen beim Abschluss von Verträgen außerhalb der Geschäftsräume. Unternehmer, die hier nicht vorsichtig agieren, laufen Gefahr, trotz erbrachter Leistung leer auszugehen. Gerade für kleinere Betriebe kann dies existenzbedrohende Folgen haben. Wer solche Risiken ausschließen möchte, muss sorgfältig arbeiten und sollte bei Zweifeln sofort anwaltliche Unterstützung suchen.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie). Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“