: : VGH München zur Tötung von Fischottern – Warum das Urteil Maßstäbe im Artenschutz setzt

Streng geschützte Arten brauchen strenge Maßstäbe

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) München vom 23. Mai 2023 hat eine juristisch wie politisch bedeutsame Klärung zum Umgang mit streng geschützten Tierarten geschaffen. Im Zentrum stand die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Behörden eine Ausnahmegenehmigung zur Tötung von Fischottern erteilen dürfen, die an Teichanlagen Fraßschäden verursachen. Der VGH stellte klar: Solche Maßnahmen sind nur dann zulässig, wenn ihre Geeignetheit zur Schadensvermeidung anhand der besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten zweifelsfrei belegt ist. Ungewissheiten müssen stets zu Lasten der Tötungsmaßnahme gehen.

Die Ausgangslage: Fischotter und Fischteiche in Konflikt

In dem zugrunde liegenden Fall hatte eine Behörde die Tötung von zwei männlichen Fischottern genehmigt. Hintergrund waren wirtschaftliche Schäden an Fischteichen in der Oberpfalz, die dem zunehmenden Fischotterbestand zugeschrieben wurden. Die Entnahme sollte durch Lebendfang mit anschließender Tötung erfolgen; alternativ war auch eine Abgabe an Zoos vorgesehen. Die Genehmigung stützte sich auf eine Vorschrift des Bundesnaturschutzgesetzes, die Ausnahmen vom Tötungsverbot erlaubt, wenn ernste wirtschaftliche Schäden drohen.

Keine Tötung ohne Eignungsnachweis

Das Gericht stellte klar: Der Gesetzgeber verlangt in solchen Fällen, dass die Tötung nicht nur erforderlich und alternativlos ist, sondern vor allem auch „geeignet“, um das Ziel – also die Vermeidung weiterer Schäden – zu erreichen. Genau daran scheiterte der Bescheid: Es gab keine belastbaren wissenschaftlichen Daten, die belegen konnten, dass das Töten zweier Tiere tatsächlich zu einer Reduktion des „Fraßdrucks“ führt. Eine bloße Erwartung oder Annahme, der Schaden werde wohl nachlassen, reicht nicht.

Die Bedeutung des Nachweispflichtkonzepts

Der VGH München griff dabei ausführlich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zurück, insbesondere auf die Urteile zur Wolfsjagd in Finnland. Daraus leitet sich ein umfassendes „Nachweispflichtkonzept“ ab: Behörden müssen jede Ausnahme vom strengen Schutzregime nach klaren, objektiv überprüfbaren Maßstäben begründen. Zentral dabei ist der Geeignetheitsnachweis – und der lässt sich nicht durch Vermutungen oder Erfahrungen ersetzen, sondern muss auf nachvollziehbarer wissenschaftlicher Grundlage beruhen.

Auch Kulturlandschaften genießen keinen Abschlag beim Schutz

Ein besonders praxisrelevanter Punkt: Der VGH machte deutlich, dass es keinen Unterschied macht, ob sich die betroffenen Tiere in einer „natürlichen“ oder in einer vom Menschen geprägten Kulturlandschaft wie einer Teichwirtschaft bewegen. Auch dort gilt das europarechtlich verankerte Tötungsverbot für streng geschützte Arten. Die Annahme, dass wirtschaftlich genutzte Flächen einen „Sonderfall“ darstellen, hat damit keine rechtliche Grundlage mehr.

Rechtsstaatliche Anforderungen an Behörden und Gerichte

Die Entscheidung hat auch eine verwaltungsrechtliche Dimension: Sie stärkt die Pflicht der Behörden zur sorgfältigen und nachvollziehbaren Ermittlung des Sachverhalts. Nach Auffassung des VGH betrifft das nicht nur die behördliche Amtsermittlung und Begründungspflicht, sondern auch die verwaltungsgerichtliche Kontrolle. Das Gericht muss prüfen, ob der erforderliche Nachweis tatsächlich geführt wurde – pauschale Einschätzungen der Verwaltung genügen nicht.

Warum die Entscheidung aus Sicht der DJGT so bedeutsam ist

Die Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V. (DJGT) begrüßt das Urteil ausdrücklich, weil es dem rechtsstaatlichen und wissenschaftlich fundierten Artenschutz klare Konturen gibt. Der Schutz von Tierarten wie Fischotter, Wolf oder Luchs ist immer wieder Gegenstand populistischer Forderungen nach „Entnahme“. Solche Forderungen sind oft emotional aufgeladen, entbehren aber meist einer sauberen rechtlichen und fachlichen Grundlage. Die Entscheidung zeigt, dass der Gesetzgeber – zu Recht – hohe Anforderungen stellt, wenn Tiere getötet werden sollen, deren Bestand noch immer fragil ist.

Warum das Urteil auch für andere Arten Relevanz hat

Die Entscheidung ist über den konkreten Fall hinaus ein Leiturteil für den Umgang mit streng geschützten Arten in Europa. Denn das vom VGH detailliert hergeleitete Nachweiskonzept betrifft nicht nur Fischotter, sondern auch andere Arten wie Biber, Luchs oder Wolf. Gerade im Wolfsmanagement, wo regelmäßig Rufe nach Abschussgenehmigungen laut werden, ist das Urteil ein Signal: Wer Eingriffe in Populationen plant, muss belegen, dass diese Maßnahmen wirksam, erforderlich und populationsverträglich sind – und zwar auf Basis der besten verfügbaren Daten, nicht aus dem Bauch heraus.

Praktische Hürden und der Wert anwaltlicher Unterstützung

Für Betroffene – ob Behörden, Teichwirte oder Naturschutzverbände – zeigt das Urteil, wie hoch die juristischen Hürden bei artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigungen tatsächlich liegen. Die Nachweispflichten sind komplex, wissenschaftlich anspruchsvoll und verwaltungsrechtlich strikt. Schon kleine Lücken in der Begründung können zur Aufhebung eines Bescheids führen. Gerade deshalb kann sich die Hinzuziehung eines spezialisierten Rechtsanwalts lohnen, sei es zur Abwehr oder zur Durchsetzung von Ansprüchen.

Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie). Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“

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