Stellen Sie sich vor: Sie kommen morgens zur Pferdeweide und alle Pferde sind weg. Am Gatter hängt ein verregneter Zettel mit einer handschriftlichen Nachricht: „Wir haben Ihre Pferdehaltung kontrolliert und Verstöße festgestellt. Ihre Pferde wurden beschlagnahmt. Bitte melden Sie sich umgehend beim Veterinäramt.“
Was sagen Sie? Das kann Ihnen nicht passieren, weil Ihre Pferdehaltung top ist? Dann erzähle ich Ihnen mal die Geschichte einer jungen Mandantin, die auf diese Weise – wenigstens vorübergehend – ihre Pferde samt Fohlen verlor. Die standen auf einer Weide, die meine Mandantin auf Vermittlung einer freundlichen Nachbarin zur Verfügung hatte. Was sie als Zugezogene im Ort nicht wusste: Die freundliche Nachbarin hatte ein Tierhalteverbot und war beim Veterinäramt gut bekannt.
Der Aufsichtsbehörde reichte das, um die Pferde in einer Nacht- und Nebelaktion von der Weide zu holen. Es wurde angenommen, die Tiere seien eigentlich Eigentum der Nachbarin, denn die habe „man“ schon in der Nähe der Weiden gesehen. Da das Tierhalteverbot einer Rückgabe der Pferde im Wege stehe, sei nun beabsichtigt, die Tiere zu verkaufen. Wie praktisch, dass die Pferde rein zufällig auch schon bei einem Pferdehandel untergestellt waren.
Der aufgeregten Mandantin, die sofort bei der Behörde vorstellig wurde, halfen auch ein Pferdepass und namentliche Benennung der Menschen, von denen sie viele Monate zuvor diese Pferde direkt gekauft hatte, nichts. Kühl wurde ihr beschieden, sie habe ihr Eigentum ausreichend nachzuweisen, sonst würden die Pferde verkauft. Erst nach reichlich Anwaltsbriefen und sehr konkreter Klagedrohung änderte die Behörde plötzlich ihre Meinung und räumte ein, eigentlich gebe es keinen Beleg dafür, dass die Pferde nicht meiner Mandantin gehörten. Großzügig wurde ihr dann erlaubt, die Pferde beim Händler abzuholen. Um die Kosten des Verfahrens werden wir vermutlich jetzt noch eine Weile streiten.
Aber darf denn eine Behörde in solchen Fällen einfach Pferde wegholen? Braucht es da nicht vorher Briefe, Anrufe, Drohungen, Warnungen?
Tatsächlich kann eine solche Beschlagnahme schneller gehen, als viele denken. Polizeirechtliche Prinzipien und das Tierschutzgesetz geben Veterinärbehörden die Grundlage für ein solches Vorgehen bei „Gefahr im Verzug“. Da kann es schon angebracht sein, erst zu handeln und dann zu fragen – denn sonst sind in manchen Fällen die Tiere, die die Maßnahme ja schützen soll, erst weg und dann für die Behörde nicht mehr auffindbar.
Wenn ein Veterinäramt Pferde beschlagnahmt, weil ein tierschutzrechtlicher Verstoß vorliegt, werden die Tiere auf Kosten des Eigentümers oder Halters untergebracht. Übersteigen die Kosten der Unterbringung absehbar den Wert der Tiere oder ist eine Rückgabe an den Halter rechtlich gesehen nicht möglich (zum Beispiel wegen eines wirksamen Tierhalteverbots), ist die Behörde gehalten, die Tiere zu versteigern oder zu verschenken. Auch diese Abfolge von Androhung und Durchführung kann im Einzelfall ziemlich schnell gehen. Sind die Pferde erst einmal so „verwertet“, ist in den meisten Fällen kein Drankommen mehr. Dem bisherigen Halter bleibt nur eine Klage auf finanziellen Schadensersatz.
Was für dramatische Auswüchse solche eigentlich wichtigen, weil dem Tierschutz dienende, Verfahren haben können, sieht man derzeit in Kiel: Dort steht eine Staatsanwältin vor Gericht, die beschuldigt wird, in einer Vielzahl von Fällen Beschlagnahme und Verkauf von Tieren betrieben zu haben, ohne sich an geltendes Recht zu halten.
Pferde, Kaninchen, Tiger und sogar einen Elefanten habe die Juristin auf diesem Wege von den Eigentümern getrennt, so die Anklage. Zehn Fälle kommen nun zur Verhandlung. Das ist – wohlgemerkt – sehr einzigartig in der Rechtsgeschichte. In der alltäglichen Praxis erlebe ich es jedenfalls selten, dass an Vorwürfen einer Veterinärbehörde wirklich gar nichts dran ist.
Für meine Mandantin war es nämlich auch deshalb eine Weile knapp, weil sie ihre Unterlagen nicht sauber beieinander hatte. Nur für ein Pferd existierte ein Pferdepass, Kaufverträge hatte sie per Handschlag abgeschlossen und in bar bezahlt. Die Pferde waren nicht korrekt bei der Behörde gemeldet, es stellten sich nach Aktenlage tatsächlich viele Fragen und die Mandantin hat wegen formaler Verstöße gegen die Tierseuchenverordnung auch noch Bußgelder zu erwarten.
Zwar war streng genommen nicht die Mandantin dran, ihre Behauptungen zu belegen, aber: Wer möchte in so einer Situation erst klagen müssen, um seine Pferde zurückzubekommen? Die eigene Pferdehaltung korrekt anzumelden, einen korrekt geführten Pferdepass parat zu haben und das Pferd per Chip identifizierbar zu machen — all das kann sich also lohnen.
Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 04/2019 der Dressur-Studien, die Sie hier erwerben können.