Was bedeutet „Zurechnungszusammenhang“ im Recht?
Im Zivilrecht geht es oft darum, ob jemand für einen Schaden haftet. Aber nicht jeder Schaden, der irgendwie mit dem Verhalten einer Person zusammenhängt, führt automatisch zur Haftung. Der „Zurechnungszusammenhang“ ist ein wichtiges Kriterium, um genau das zu klären: Ist der entstandene Schaden dem Verhalten einer Person rechtlich zuzuordnen?
Es reicht nämlich nicht, dass jemand bloß „irgendwie beteiligt“ war. Der Schaden muss nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge vorhersehbar gewesen sein – und es muss sich um eine Risikoerhöhung handeln, die dem Handelnden rechtlich zugerechnet werden kann. Genau hier setzt der Zurechnungszusammenhang an.
Ein alltägliches Beispiel zur Veranschaulichung
Stellen wir uns vor: Ein Autofahrer parkt sein Fahrzeug direkt hinter einer Kurve auf der Landstraße, wo es verboten ist. Ein anderer Fahrer sieht das geparkte Auto zu spät, bremst stark und wird von einem weiteren Fahrzeug gerammt.
Ob der erste Fahrer nun haftet, hängt nicht allein davon ab, dass sein Falschparken „irgendwie mit dem Unfall zu tun hat“. Entscheidend ist: War der Unfall eine typische Folge dieses verbotenen Parkens? Wenn ja, ist der Zurechnungszusammenhang gegeben. Wenn dagegen das Geschehen so ungewöhnlich ist, dass es mit dem Verhalten des ersten Fahrers nichts mehr zu tun hat, entfällt dieser Zusammenhang.
Das Urteil des LG Köln: Dritte Person verursacht den Schaden
Im vom Landgericht Köln entschiedenen Fall hatte ein Polizeibeamter einen mutmaßlichen Fahrraddieb angehalten und diesen kurz aus den Augen gelassen. In dieser kurzen Zeit näherte sich ein Dritter, der den mutmaßlichen Dieb plötzlich und schwer verletzte.
Der Verletzte klagte gegen das Land NRW – also den Dienstherrn des Polizisten – und verlangte Schadensersatz. Seine Begründung: Die Polizei hätte ihn schützen müssen.
Das Gericht aber sagte: Selbst wenn der Polizist seine Aufsichtspflicht verletzt haben sollte, fehlt der Zurechnungszusammenhang. Warum? Weil das Einschreiten des Dritten so unerwartet und eigenständig war, dass der Schaden dem Verhalten des Beamten nicht mehr zurechenbar ist.
Warum der Zurechnungszusammenhang hier verneint wurde
Entscheidend war, dass die Gewalt des Dritten weder vorhersehbar noch kontrollierbar war. Selbst wenn der Polizist näher dabeigewesen wäre, hätte er die Eskalation wohl kaum verhindern können.
Juristisch gesagt: Der Täter hat mit seinem aggressiven Einschreiten eine neue Ursache gesetzt, die den ursprünglichen Sachverhalt unterbricht. Damit ist der Schaden nicht mehr Ausdruck eines Risikos, das der Polizist mit seinem Verhalten geschaffen hat.
Grenzen der Zurechnung: Warum das so wichtig ist
Ohne den Zurechnungszusammenhang würde jede noch so entfernte Ursache zur Haftung führen – das wäre lebensfremd. Wer jemandem die Suppe versalzt, haftet nicht, wenn der andere daraufhin wütend das Fenster einschlägt und sich verletzt.
Das Recht will nur dort eine Haftung begründen, wo der Schaden in einem inneren Zusammenhang mit dem Verhalten des Handelnden steht. Es geht also nicht nur um Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinn, sondern um eine wertende Betrachtung: War das Risiko typisch, naheliegend und vermeidbar?
Praktische Bedeutung: Abgrenzung oft schwierig
In der Praxis ist die Abgrenzung oft heikel. Besonders bei Polizei, Schulen, Heimen oder medizinischem Personal stellt sich regelmäßig die Frage: Wie weit reicht die Verantwortung für andere Menschen?
Wenn jemand unter Aufsicht steht oder besonders schutzbedürftig ist, kann schon ein kurzes Wegschauen haftungsrechtlich problematisch sein – aber nur, wenn der Schaden im „Risikobereich“ dieser Pflicht liegt. Sobald ein Dritter eigenständig und unvorhersehbar eingreift, ist der Zusammenhang unterbrochen.
Warum anwaltliche Beratung hier unverzichtbar ist
Ob ein Zurechnungszusammenhang vorliegt, lässt sich fast nie pauschal sagen. Die Gerichte prüfen jeden Fall genau: Was war vorhersehbar? Was war typisch? Wer hat die entscheidende Ursache gesetzt?
Gerade für Geschädigte ist das frustrierend, wenn sie zwar spürbar Leid erfahren, aber am Ende leer ausgehen, weil ein rechtlicher Zusammenhang fehlt. Für Anspruchsgegner hingegen kann genau diese Abgrenzung ein entscheidender Hebel zur Abwehr von Forderungen sein.
In beiden Fällen lohnt sich eine fachkundige Prüfung. Ein erfahrener Rechtsanwalt kann nicht nur Akteneinsicht nehmen, sondern auch realistisch einschätzen, wie ein Gericht den Zurechnungszusammenhang bewerten wird – und ob es alternative Ansätze zur Haftung gibt.
Rechtsanwalt Nils Michael Becker aus Bad Honnef bei Bonn ist mit seiner Kanzlei auf Tierrecht, Datenschutz und Vereinsrecht spezialisiert. Er ist Partner und Dozent an der Tierechtsakademie in Bielefeld und unterrichtet regelmäßig an der Akademie des Deutschen Beamtenbundes (dbb Akademie). Einfache und schnelle Terminvereinbarung unter nilsbecker.de/telefontermin.“